Hofreiter und Verlinden: Angst schützt unser Klima nicht

13. September 2018

Ein neues Argument zum Erhalt schmutziger Kohlekonzernprofite wabert durchs Land: Ein rascher Kohleausstieg würde die rechtsextreme AfD stärken. Neuer Wortführer dieser Verschwörungstheorie: Dietmar Woidke, SPD-Ministerpräsident aus Brandenburg und langjähriger Kohlebefürworter. In einem Zeitungsinterview fabulierte er, ein schneller Ausstieg wäre ein Desaster und würde Wähler zur AfD in treiben. Und sogar Andrea Nahles warnte jüngst vor einer „Blutgrätsche gegen die Braunkohle“ und warf uns Grünen vor, uns beim Klimaschutz nicht um die Menschen vor Ort zu Kümmern.

Beim zum Scheitern verurteilten Versuch, Wähler zurück zu gewinnen, indem Positionen der Rechten kopiert werden, wird nicht mehr nur in der Flüchtlingspolitik die Debatte nach rechts verschoben. Auch in der Klima- und Energiepolitik zeigen sich Versuche, diese aus Angst vor der AfD ins wissenschaftsfeindliche und anti-aufklärerische zu rücken.

Der Klimaschutz made in Germany ist Geschichte

Energiepolitik war immer knallharte Interessenspolitik. Die Lobbyisten der fossilen Industrien haben stets die Energiewende bekämpft. Seit jeher werden Machbarkeit, Akzeptanz, Versorgungssicherheit zu Unrecht in Frage gestellt. Nun kommen neue Töne dazu. Aus Angst vor der AfD werden für selbstverständlich gehaltene Positionen in Frage gestellt: Das Abrücken von Bekenntnissen zur Modernisierung der Energieversorgung und die zunehmend ablehnende Ignoranz beim Überlebensthema Klimaschutz ziehen immer stärker in die Politik dieser Bundesregierung ein. Dabei ist Deutschland schon jetzt dabei, seine eigenen Klimaziele meilenweit zu verfehlen. Klimaschutz made in Germany? Das war einmal.

Statt den klimapolitisch unausweichlichen Kohleausstieg mit einer gestaltenden Politik anzugehen und in den Dialog mit den Betroffenen zu treten, schüren Union und nun auch SPD die Ängste der Menschen vor Ort. Vertreterinnen und Vertreter der Regierungskoalition versuchen zunehmend, Veränderung als Bedrohung zu verkaufen. So schaffen sie ein Klima der Verunsicherung, statt Orientierung und Antworten auf die Sorgen der Menschen zu geben. Der Co-Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen, Dirk Messner, stellte vor wenigen Tagen klar, es sei „unredlich, den Klimaschutz zu verzögern und das mit Gerechtigkeitsargumenten zu verschleiern“.

Angst ist ein schlechter Ratgeber für Politik

Das Klima weiter zerstören aus Angst vor den Rechten? Eine abstruse Schlussfolgerung gegen den expliziten Willen der Mehrheit auf Kosten zukünftiger Generationen. Repräsentative Umfragen zeigen, wie hoch die Zustimmung sogar für eine schnellere Energiewende ist. Und auch der Kohleausstieg hat eine hohe gesellschaftliche Unterstützung – sogar in den Braunkohleregionen. Doch wenn SPD und Union so weiter machen, werden sie die Klimaskeptiker stärken. Angst ist ein schlechter Ratgeber für Politik. Und es ist eine gefährliche Strategie. Vor einer katastrophalen Heißzeit schützen Aluhüte nicht.

Wir brauchen eine Klima- und Energiepolitik, die dazu beiträgt, die lebensgefährliche Erhitzung unseres Planeten zu bremsen. Nicht die Braunkohle ist ein Jobmotor, sondern die Energiewende. Jetzt gilt es, die Fortschritte der letzten Jahrzehnte zu verteidigen und eine positive Antwort auf die rechten Dystopien zu geben:

Von Autokraten und Oligarchen unabhängig werden wir nur mit Erneuerbaren Energien. Internationale Konflikte um Öl können der Vergangenheit angehören, wenn wir auf saubere Energien setzen. Und wer Fluchtursachen wirklich bekämpfen will, muss vor allem etwas gegen die Fluchtursache Nr. 1 der Zukunft tun: die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen durch die Klimakrise.

Wenn SPD und Union der AfD den Wind aus den Segeln neben wollen, dann sollten sie nicht auf die rechte Angstmache reinfallen, sondern dafür sorgen, dass es eine lebenswerte Zukunft gibt, auf die sich die Menschen freuen können.

Der Debattenbeitrag ist bei Tagesspiegel-online erschienen. Dr. Anton Hofreiter ist Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Julia Verlinden ist Sprecherin für Energiepolitik.