Streckbetrieb von 3 AKWs ist Zumutung für grüne Energiewendepolitik

28. Oktober 2022
©Pixabay/Markus Distelrath

Als grüne Energiepolitikerin und als Abgeordnete für das Wendland empfinde ich es als eine Zumutung, dass der von der Bewegung und uns Grünen erkämpfte Atomausstieg nun später kommen soll und dass die Debatte um die Hochrisikotechnologie Atomkraft von Gegnern der Energiewende über Monate hinweg vorangetrieben wurde, anstatt sich mit den wirklich relevanten Fragen für die Energiesicherheit zu befassen: der Energieeffizienz und dem Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Kanzler Scholz hat Mitte Oktober seine Richtlinienkompetenz eingesetzt, um festzulegen: die drei Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland, dürfen – sofern es die dort vorhandenen Brennstäbe hergeben – dreieinhalb Monate länger, also bis 15.4.2023, in Betrieb sein.

Die für Reaktorsicherheit zuständige Bundesministerin Steffi Lemke wurde im Brief von Olaf Scholz aufgefordert, solch eine Atomgesetz-Änderung auf den Weg zu bringen, diese Gesetzesänderung hat das Kabinett inzwischen beschlossen und sie wird im November dem Bundestag zur parlamentarischen Beratung und Entscheidung vorgelegt.

Laut bisheriger Gesetzeslage und parteiübergreifendem Atomausstiegskonsens wären die drei AKWs im Dezember 2022 abgeschaltet worden – und damit als letzte Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gegangen.

Die Entscheidung des Kanzlers ist ein relevanter Unterschied zum Vorschlag von Robert Habeck von Anfang September. Da hatte Robert Habeck – in Absprache mit Steffi Lemke – eine Notreserve empfohlen, in der nur die zwei süddeutschen Atomkraftwerke und nur für den Fall der Fälle für diesen Winter zur Verfügung stehen würden.

Das AKW Emsland kann kaum zusätzlichen Strom produzieren: denn immer wieder werden in der Region Windräder abgeschaltet, um den Atomstrom durchs Netz zu lassen. D.h. hier ist kein energiewirtschaftlicher Nutzen zu erwarten, zugleich verlängert sich das Atomrisiko um mehrere Monate. Mit guten Gründen hatte Deutschland sich für einen Atomausstieg und für die Energiewende entschieden.

Es ist bedauerlich, dass Olaf Scholz das AKW Emsland in den Streckbetrieb nehmen möchte, obwohl es fachlich dafür keinen Grund gibt. Er hat sich dennoch für diesen Schritt entschieden, um eine kontroverse Debatte innerhalb der Ampel-Koalition abzuräumen. Denn trotz des von Habeck und Lemke vorgelegten Gesetzentwurfs im September für eine Notreserve, der bereits einen Kompromiss darstellt, hatte die FDP darauf gepocht, noch mehr Atomkraft zu nutzen – während sie bei den Themen Energieeffizienz und Ausbau der Erneuerbaren immer wieder auf der Bremse stand.

Der Kanzler hatte sich dafür entschieden, neben dem Weiterlaufen der 3 AKWs zusätzlich ein ambitioniertes Energieeffizienzgesetz zu fordern – sowie den Kohleausstieg im rheinischen Revier gesetzlich vorzuziehen.

Die Entscheidung, drei AKWs länger laufen zu lassen, zeigt folgendes:

  1. Von den Atomkraft-Befürwortern wurde in der Gesellschaft die Sorge vor einem Blackout genährt. Diese Debatte hat bei vielen den Eindruck hinterlassen, die AKWs würden einen relevanten Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten, die FDP verspricht sich gar sinkende Strompreise dadurch. Das ist fachlich nicht zu begründen.
  2. Energiesparen, Energieeffizienz, Lastmanagement und das kurzfristige Nutzen von zusätzlichem Potential von Erneuerbaren Energien hat kaum öffentliche Aufmerksamkeit bekommen – obwohl diese Strategien viel sinnvoller für den kommenden Winter sind – und sowieso gebraucht werden, egal, ob AKWs noch ein paar Wochen länger laufen oder nicht.
  3. Es braucht weiterhin breites gesellschaftliches Engagement für den Atomausstieg. Nach Jahrzehnten des Kampfes, dürfen Umweltverbände und weitere Anti-Atombewegte der Zivilgesellschaft nicht nachlassen, bis wirklich das letzte AKW abgeschaltet ist – in Deutschland, in Europa und weltweit.

Mit der Aussage des Kanzlers ist nun klar, dass keine neuen Brennstäbe beschafft werden und alle deutschen AKWs bis spätestens zum 15.04.2023 endgültig vom Netz gehen sollen. Für alles darüber hinaus gäbe es auch keine Unterstützung der grünen Bundestagsfraktion.