Neue Zahlen des Bundesverkehrsministeriums zu Kosten und Nutzen der A39 geben weiter Rätsel auf

26. November 2025
©Gleb Kozenko/Unsplash

Der „Nutzen“ des Neubaus der A 39 soll ca. 5 mal so hoch sein wie die gesellschaftlichen Kosten? Das sagt das Bundesverkehrsministerium. Das macht stutzig. Warum soll sich das Nutzen-Kosten-Verhältnis des A39-Neubaus im Vergleich zu den zuletzt angegebenen Daten 2,1 auf nun 5,3 mehr als verdoppelt haben?

Und warum liegen die Zahlen im Vergleich zu einer Studie des Bundesumweltministeriums (Anfang 2025 veröffentlicht) so weit auseinander? Die Wissenschaftler*innen (u.a. von der TU Dresden) ermittelten unter Einbezug von durchschnittlichen Baukostensteigerungen und aktualisierten CO2-Schadenkosten trotz optimistischen Hochlauf der Elektromobilität einen NKV von 0,9.

Wir haben nachgefragt und das  Bundesverkehrsministerium hat nach längerem Zögern Daten übermittelt, die etwas mehr Licht ins Dunkel bringen sollen. Ein wesentlicher Faktor scheint dabei die neue Verkehrsprognose für 2040 zu sein.

Zunächst ist bemerkenswert, dass sich die künftige mittlere Verkehrsbelastung der A39 nach den neuen Daten gegenüber der bisherigen Prognose sogar verringert hat (nur 20.000 Kfz/24h gegenüber 22.000 Kfz/24h). Es drängt sich daher umso mehr die Frage auf, wie es zu dem so stark gestiegenen „Nutzen“ kommen kann, wenn nun angenommen wird, dass weniger Fahrzeuge die A 39 nutzen würden, als das Ministerium vor Jahren noch dachte.

Details bietet ein Blick in die einzelnen Werte für den „jährlichen Nutzen“. Also die „in Geld“ umgerechneten volkswirtschaftlichen vermeintlichen Vorteile des Projekts. Demnach ist der Gesamtnutzen des Projekts von rund 1,7 Mrd. Euro (Bundesverkehrswegeplan 2030) auf rund 7 Mrd. Euro (Neuberechnung NKV 2025) um den Faktor 4 in die Höhe geschossen.

Die wesentlichen Posten sind dabei nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums:

Die eingesparten Betriebskosten im Personen- und Güterverkehr („NB“) für Fahrzeuge, Personal und deren Betrieb haben sich mehr als verdreißigfacht, weil es laut Verkehrsprognose 2040 mehr LKW-Verkehr geben wird und durch den A39-Neubau Betriebskosten gespart werden (weil die vermehrt verkehrenden LKW ohne Stau schneller an ihr Ziel kommen und daher Kosten eingespart werden) (ca. 2,5 Mrd. Euro zusätzlicher Nutzen).

Die Reisezeitverkürzungen im Personenverkehr („NRZ“) führen zu zusätzlicher produktiv nutzbarer Zeit der Reisenden, die ebenfalls einen volkswirtschaftlichen Nutzen ergibt (ca. 1,9 Mrd. Euro zusätzlicher Nutzen).

Der implizite Nutzen („NI“) ist gestiegen (rund 800 Mio. Euro), d.h. die Menschen investieren ihre neu gewonnene Zeit auch in neue Verkehrsbewegungen, denen wiederum eine gesteigerte volkswirtschaftliche Produktivität zugerechnet wird.

Die Zuverlässigkeit („NZ“) der Verkehrsverbindung steigt durch weniger Stau. Dadurch müssen Personen und Güter weniger Zeitpuffer einplanen und sparen erneut Zeit ein (ca. 700 Mio. Euro zusätzlicher Nutzen).

Den vermeintlich gesteigerten Nutzen gegenüber steht auf der anderen Seite ein Anstieg der Kosten:

Für die gesteigerten Baukosten („bewertungsrelevante Investitionskosten“) wird mit dem Preisstand von 2021 gerechnet (1.545 Mrd. Euro). Das sind rund 45% mehr als in der vorherigen NKV-Berechnung (mit Preisstand 2014: 1,083 Mrd. Euro), aber deutlich weniger als die aktuelle Ministeriums-Angabe der Projektkosten aus 2025 von 2,214 Mrd. Euro. D.h. alle wissen schon heute, dass der Neubau deutlich teurer wird, trotzdem werden bei der Berechnung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses auf veraltete Kosten-Zahlen zurückgegriffen. Der wahre NKV liegt also niedriger.

Ebenfalls gestiegen sind übrigens auch die Kosten für die Lebenszyklusemissionen von Treibhausgasen für das Projekt. Die spezifischen Schadenskosten je Tonne CO2 wurden nach oben angepasst. Angesichts der dramatischen Schäden, die die Klimakrise anrichtet, nur folgerichtig. So ergeben sich statt rund 65 Mio. Euro Kosten in Höhe von 270 Mio. Euro.

Interessant ist allerdings, dass die Bundesregierung mit einem optimistisch hohen Anteil Elektrofahrzeuge rechnen lässt, während sie parallel die Flottengrenzwerte und das Verbrenner-Aus in Brüssel torpediert. D.h. die CO2-Schadenskosten dürften für die A 39 noch deutlich höher ausfallen, wenn sich die Bundesregierung mit ihrer Haltung auf EU-Ebene durchsetzt.

D.h. die neue NKV-Berechnung der Bundesregierung passt zwar die gestiegen Kosten (nicht vollständig) an, aber der vermeintlich gewachsene Nutzen ist in einer so großen Dimension, dass er die gesellschaftlichen Kosten in dieser Bewertungs-Methodik deutlich übersteigt.

Ist damit nun alles klar? Natürlich nicht. Der immens gestiegene angenommenen Nutzen wirft weiterhin Fragen auf. Zum Beispiel: sind die Verkehrsmengen, die für die A39 für die Zukunft angenommen werden, plausibel (in der Antwort des Verkehrsministeriums finden sich Karten mit prognostizierten Verkehrsmengen und Verkehrsverlagerungen sowohl für die A39, als auch für umliegende Straßen wie die B4)? Mit welchen Verkehrsverlagerungen durch andere Verkehrsprojekte aus dem Bundesverkehrswegeplan, wie etwa dem Bau der Schienen-Neubaustrecke Hannover-Hamburg oder des Neubaus des Schiffshebewerks in Scharnebeck wird gerechnet bzw. sollte gerechnet werden?

Bundesverkehrswegeplanung für Autobahnen ist nicht mehr zeitgemäß

Zusätzlich zu den offenen Fragen von Kosten und Nutzen des Projekts ist die Bundesverkehrswegeplanung nicht mehr zeitgemäß: Der Bedarfsplan der Straßenbauprojekte besteht im Wesentlichen aus einer Sammlung von politischen Wünschen der einzelnen Bundesländer, die Projekte anmelden können. Geprüft wird am Ende nicht, ob eine Autobahn, der Ausbau einer Bundesstraße oder eine bessere Bahnverbindung die beste Lösung in Sinne eines klugen Gesamtkonzepts für die Mobilität wäre, sondern nur der vermeintliche volkswirtschaftliche Nutzen der einzelnen Projekte und ignoriert damit jegliche politischen Gestaltungsziele.

Weder verkehrspolitische Ziele, wie eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene, noch klimapolitische, wie das Erreichen der deutschen CO2-Reduktionsziele oder naturschutzpolitische, wie die Reduktion des Flächenverbrauchs oder der Erhalt sensibler Ökosysteme, werden der Planung zu Grunde gelegt. Hinzu kommt in der aktuellen Situation die völlig fehlende Prioritätensetzung bei begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen. Zum einen ist der erhebliche Nachholbedarf an Investitionen in die Schiene dringend nötig. Zudem müssen Sanierung und Erhalt der bestehenden (und teilweise maroden) Verkehrsinfrastruktur immer Vorrang vor Neubau haben.