Erdgasförderung und Fracking in Niedersachsen: Probleme und Perspektiven

10. Juni 2015
Die Grünen Elke Twesten und Thomas Lauber übergeben eine Resolution des Kreistags Rotenburg an die Bundestagsabgeordneten

In Niedersachsen werden rund 95 Prozent des deutschen Erdgases gefördert. Hier konzentrieren sich die lokalen Auswirkungen, hier sind die Diskussionen über das Für und Wider der Erdgasförderung sowie über den künftigen Kurs besonders kontrovers. Die niedersächsischen Bundestagsabgeordneten Julia Verlinden und Peter Meiwald, beide Bündnis 90/Die Grünen, reisten deshalb Ende Mai für zwei Tage durch die Region, um sich vor Ort über Probleme und Perspektiven zu informieren und mit Gegnern wie Befürwortern der Erdgasförderung zu diskutieren. Eine große Rolle spielte dabei das geplante Fracking-Regelungspaket der Bundesregierung, das in dieser Woche im Umwelt- wie auch im Wirtschaftsausschuss in öffentlichen Anhörungen diskutiert wird.

Auf dem Programm der Abgeordneten standen ein Besuch bei ExxonMobil in Söhlingen mit Besichtigung eines Erdgas-Bohrplatzes und der Verpressstelle für Lagerstättenwasser, eine Gesprächsrunde sowie eine öffentliche Podiumsdiskussion mit Betroffenen, Bürgerinitiativen, Umweltgruppen und Grünen vor Ort sowie der Besuch eines ansässigen Getränkeherstellers und einer Kaverne, in der Erdgas gespeichert wird.

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Arbeitsplätze contra Umweltschutz?

Etwa 35 Förderbohrungen betreibt ExxonMobil derzeit allein im Raum Rotenburg, 120 Menschen sind dort beschäftigt. In der Verantwortung von ExxonMobil wurden hier bisher 110 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert. Das ist etwa 1000-mal so viel, wie im Landkreis Rotenburg pro Jahr verbraucht wird. Der Betriebsleiter führte die Abgeordneten über die Förderstelle in Söhlingen und erklärte die Funktionsweise der Lagerstättenwasser-Verpressstelle.

Die Abgeordneten Verlinden, Meiwald und Krischer sowie die sie begleitenden Landtagsabgeordneten Miriam Staudte und Volker Bajus befragten die Mitarbeiter von ExxonMobil eingehend zum Umgang mit möglichen Leckagen, Unfällen und Gesundheitsproblemen. Die eiszeitliche Rotenburger Rinne, die zur Trinkwassergewinnung genutzt wird, und so für die Versorgung von rund 80.000 Menschen in der Region entscheidend ist, wird wegen der Erdgasförderung an vielen Stellen durchbohrt. Es besteht die Befürchtung, dass hierdurch langfristig gefährliche Stoffe ins Trinkwasser gelangen könnten. Über die Anwendung des Fracking-Verfahrens wurde ebenfalls intensiv diskutiert.

Erdgasförderung bedroht Gesundheit

Die Gefahren für Grund- und Trinkwasser waren auch ein Schwerpunkt in der anschließenden Gesprächsrunde mit Bürgerinitiativen, Umweltgruppen und Grünen in Rotenburg. Die Grüne Landtagsabgeordnete Elke Twesten und der Vorsitzende der grünen Kreistagsfraktion Thomas Lauber übergaben eine Stellungnahme des Kreistags Rotenburg zum Fracking an ihre Bundestagskollegen Meiwald und Verlinden sowie den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsgrünen, Oliver Krischer, der ebenfalls zum Besuch bei Exxon und der Gesprächsrunde angereist war.

Die Grünen Elke Twesten und Thomas Lauber übergeben eine Resolution des Kreistags Rotenburg an die Bundestagsabgeordneten

„Die Betroffenen haben uns die Beeinträchtigungen ihrer Lebenswelt in eindrücklicher Weise geschildert. Schon die bestehenden Umweltbelastungen und Gesundheitsrisiken durch die Erdgasförderung zeigen, wie problematisch diese Art der Rohstoffgewinnung ist“, beschreibt Peter Meiwald, umweltpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, seine Eindrücke. Nach seiner Auffassung müssen die Förderstellen dringend besser überwacht werden und Erdgas- und Erdölförderung insgesamt schärfere Umweltauflagen erhalten.

Grüne fordern Fracking-Verbot und Gefahrenprävention

Noch massiver würden die Gefahren für Umwelt und Gesundheit nach Ansicht der Grünen, wenn Fracking in Deutschland – wie derzeit von der Bundesregierung geplant – tatsächlich rechtssicher erlaubt würde. „Wir Grüne bestehen auf dem Vorsorgeprinzip. Deshalb fordern wir die Fracking-Gegner in den Bundestagsfraktionen von Union und SPD auf, sich in der anstehenden Debatte gemeinsam mit uns für ein echtes Fracking-Verbot einzusetzen. Fracking verlängert das fossile Zeitalter. Unsere Alternative ist die Energiewende!“ erklärt die Sprecherin für Energiepolitik Dr. Julia Verlinden.

Die Grünen Abgeordneten sagten Bürgerinitiativen und Betroffenen bei ihrem Treffen in Rotenburg Unterstützung in im Kampf gegen Fracking und für strengere Umweltauflagen für die Erdgasförderung zu. Fracking ist nach Ansicht der Grünen Bundestagsfraktion nicht mit den Anforderungen des Umwelt- und Klimaschutzes vereinbar. Auch die Erdgasförderung ohne Fracking muss sicherer werden und soll aus Sicht der Grünen strenger reguliert werden.

Zudem müssen die statistisch auffälligen Häufungen von Krebsfällen in Erdgasfördergebieten dringend aufgeklärt werden. In der Samtgemeinde Bothel im Kreis Rotenburg/Wümme hat das Krebsregister Niedersachsen eine statistisch auffällig hohe Zahl von Krebserkrankungen festgestellt. Es besteht der Verdacht, dass diese durch die Erdgasförderung bzw. deren Umweltbelastungen mit Benzol und Quecksilber verursacht wurden.

Fracking-Diskussion erhitzt die Gemüter

Mitten im Erdgasfördergebiet in Völkersen hatte der Verdener Kreisverband der Grünen am Abend zur öffentlichen Diskussionsveranstaltung über Erdgasförderung und Fracking eingeladen. In der Region kam es wiederholt zu Erdstößen und zum Austritt von Lagerstättenwasser. An einer Demonstration gegen Fracking hatten Mitte Mai fast 1300 Menschen teilgenommen. Die Grünen im Landkreis setzen sich seit Jahren für ein Fracking-Verbot und strengere Umweltauflagen ein.

Die Abgeordneten Meiwald und Verlinden diskutieren mit Heinz Oberlach (DEA) und Gero Landzettel (BI Langwedel)

„Das von der Bundesregierung geplante Regelungspaket ist kein Verbotsgesetz, sondern würde Fracking in vielen Gebieten gesetzlich ermöglichen“, warnte Verlinden bei der Veranstaltung. Zwar habe der Bundesrat viele Verschärfungen des Gesetzespaketes eingefordert, doch könnten die Bundesländer letztlich nur wenig Einfluss auf das Verfahren nehmen. Nur wenn von den Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD Änderungen eingefordert würden, könne es noch zu Verschärfungen des Gesetzes kommen.

Förderunternehmen wollen Rechtssicherheit, Initiativen warnen vor Umweltfolgen

Heinz Oberlach, Sprecher des Unternehmens Deutsche Erdöl AG (DEA) – einer international tätigen Explorations- und Produktionsgesellschaft für Erdgas und Erdöl – erläuterte, dass sein Unternehmen sehr froh wäre, wenn durch das Gesetzespaket Rechtssicherheit hergestellt würde. Derzeit bestehe Unsicherheit über die zukünftige Regulierung und damit auch hohe Unsicherheit für Investitionen und Projektplanungen. Die DEA würde dann bei jedem Förderstandort individuell untersuchen und entscheiden, mit welcher Technik Erdgas gefördert werden könne. Nicht immer würde dabei automatisch Fracking zum Einsatz kommen.

Gero Landzettel von der BI Langwedel gegen Gasbohren stellte infrage, ob man Fracking überhaupt brauche. Eigentlich wolle man doch die Energiewende. Darüber hinaus betonte er, dass viele Probleme im Raum Völkersen lange vor dem Fracking auftreten, da sie auch die Erdgasförderung ohne Fracking betreffen. Lagerstättenwasser und Bergschäden seien die zentralen Probleme für die Region Verden. Das Vertrauen in die Erdgas-Unternehmen vor Ort sei durch verschiedene Vorkommnisse wie den Austritt von Lagerstättenwasser 2011 erschüttert.

Fracking torpediert Energiewende

In der Diskussion mit dem Publikum wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass Schiefergas-Fracking ganz andere Dimensionen annehmen würde als die bisher bekannte Erdgasförderung. Es seien wesentlich mehr Frac-Bohrungen notwendig als bisher. Diese würden mit hohem Wasser- und Landschaftsverbrauch einhergehen und erhebliche Gefahren für die Umwelt bedeuten, insbesondere für Böden und Gewässer.

Julia Verlinden betonte, dass Fracking die Energiewende und den Klimaschutz torpediere. „Außerdem haben sich zwei Drittel der Menschen in einer Umfrage von infratest dimap für ein Fracking-Verbot ausgesprochen“, erinnerte Verlinden. Zudem spreche sich ein breites gesellschaftliches Bündnis von Unternehmen über Gewerkschaften hin zu Umweltverbänden gegen Fracking aus.

Peter Meiwald beendete die Veranstaltung mit einem Aufruf: „Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht vorbei. Am Ende des Tages kommt es darauf an, wie die einzelnen Abgeordneten im Bundestag abstimmen. Bringen Sie sich ein und fragen Sie Ihre Abgeordneten vor Ort, wie sie abstimmen werden!“

Auch Unternehmer sehen Fracking-Gefahren

Dass nicht nur Anwohner, Umweltschützer und Grüne Politiker gegen Fracking sind, wurde am zweiten Tag der Tour deutlich, als Peter Meiwald und Julia Verlinden zu Gast beim Getränkehersteller Auburg Quelle waren. Deren Geschäftsführer Dirk Lütvogt äußerte die Sorge, dass sich die Behörden nicht für den Schutz privatwirtschaftlich genutzter Brunnen zuständig fühlen. Da sie nur das Trinkwasser der öffentlichen Wasserversorgung im Auge hätten, könnten Ermessensentscheidungen der Behörden problematisch und im schlimmsten Fall existenzbedrohend für Unternehmen wie die Auburg-Quelle sein.

Dirk Lütvogt erläutert den Abgeordneten Verlinden und Meiwald die Bedeutung der Auburg Quelle

Auch werde bisher nur berücksichtigt, dass Verunreinigungen von der Erdoberfläche nach unten sickern. Doch unterirdische Bergtätigkeiten führen zu ganz anderen Risiken. Verunreinigungen seien ein hohes Risiko für die Mineralbrunnen-Wirtschaft, da Mineralwasser nicht aufbereitet werden dürfe, betonte Lütvogt. Außerdem könnten Belastungen durch Erdgasförderung laut Hydrologen auch Jahre nach der Förderung einsetzen, wenn die verantwortlichen Erdgasfirmen möglicherweise schon lange nicht mehr vor Ort seien.

Das Unternehmen Auburg Quelle geht in Sachen Umweltschutz und Energiesparen mit gutem Beispiel voran. Es investiert viel in Energieeffizienz und die Umstellung auf 100 Prozent Erneuerbare Energien. Bereits die Hälfte der Energieversorgung wird mit Biogas gedeckt, der Rest soll in Kürze durch Holzhackschnitzel bereitgestellt werden. Als nachhaltiger Abfüllbetrieb ist der Getränkehersteller interessant für Kooperationspartner wie z.B. FritzCola, deren Kunden explizit umweltschonende Produkte nachfragen.

Kavernen könnten Teil der Energiewende werden

Zum Abschluss ihrer Tour besuchten Julia Verlinden und Peter Meiwald das Kavernenfeld Etzel. Im November 2013 trat dort Öl aus und verseuchte anliegende Oberflächengewässer. Der Grüne Peter Meiwald war einer der ersten Politiker, die sich um diesen Unfall kümmerten. Mit seinem Engagement vor Ort schaffte er Aufmerksamkeit in der Landespolitik. Auch Wirtschaftsminister Lies (SPD) schaltete sich persönlich ein. Doch die Ursache für den Ölunfall konnte bis heute nicht geklärt werden.

Kurze Zeit später ereignete sich im Münsterland ein noch schwerwiegender Unfall, der – soweit bekannt – immer noch nicht bewältigt ist. Seitdem ist die Öffentlichkeit alarmiert und neue Kavernen-Ausspülungen werden kritisch hinterfragt. Die Grünen treten für verbindliche Umweltverträglichkeitsprüfungen von Kavernen-Vorhaben ein.

Julia Verlinden und Peter Meiwald diskutieren mit Hans Joachim Schweinsberg über die Verwendung von Kavernen

Nach Ansicht von Meiwald und Verlinden können Kavernen künftig einen Beitrag für die Energiewende leisten. Die Hohlräume würden dann nicht mehr für fossile Brennstoffe genutzt, sondern als Druckluftspeicher oder als Speicher für regenerativ erzeugten Wasserstoff oder Methan. Solche Speicher helfen, die fluktuierende Windstromerzeugung bedarfsgerecht auszugleichen.

Gesetzgebungsverfahren mit erheblichem Änderungsbedarf

Bisher ist Fracking rechtlich weder verboten noch explizit erlaubt, eine Regulierung steht seit Jahren aus. Aufsuchungserlaubnisse (Claims) für Kohlenwasserstoffe sind in vielen Bundesländern bereits vergeben. Die Pläne der Bundesregierung sehen aktuell kein Fracking-Verbot vor. Im Gegenteil: Fracking in Tiefen unterhalb von 3000 Metern sollen generell erlaubt werden, Forschungsbohrungen sind auch darüber erlaubt. Ab 2018 soll zudem kommerzielles Fracking möglich werden, wenn die im Gesetz vorgesehene Expertenkommission es mehrheitlich für einen Standort empfiehlt. Auch Natura2000-Gebiete und private Brunnen sind nicht grundsätzlich geschützt. 

Nach Ansicht der Grünen ignoriert die Bundesregierung damit die Gefahren für Umwelt und Gesundheit. Verunreinigung von Grund- und Trinkwasser, induzierte Seismizität (Erdbeben), Bergschäden, ungeklärte Entsorgung von belastetem Lagerstättenwasser, hoher Wasser- und Flächenverbrauch und nicht zuletzt eine negative Klimabilanz durch zusätzliche Methanemissionen sprechen klar gegen Fracking.

Den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung lässt die Regierung ebenso außen vor. Nicht nur zahlreiche Institutionen von Kirchen bis Gewerkschaften haben sich inzwischen gegen Fracking ausgesprochen. Auch über 2500 Kommunen haben bereits Resolutionen gegen Fracking in ihrem Einzugsbereich verabschiedet.

Auf Initiative grüner Landesminister hat der Bundesrat Verschärfungen im Wasserhaushaltsgesetz und im Bergschadensrecht gefordert. Doch die Bundesregierung lehnt diese weitgehend ab. Nun sind die Koalitionsfraktionen am Zug. Die Grünen fordern ihre Fracking-kritischen Kollegen aus SPD und Union auf, sich im Parlament gemeinsam für ein wirksames Verbot von Fracking für Erdgas und Erdöl im Bergrecht und im Wasserrecht und für strengere Umweltauflagen für die bestehende Förderung einzusetzen.