Raus aus dem Erdgas – Dekarbonisierung der Gasversorgung und die Rolle der Gasinfrastruktur für die Energiewende.
12. Juni 2018Noch ist Erdgas nach Erdöl die zweitwichtigste Energiequelle in Deutschland. Deutschland ist zudem ein wichtiges Transitland für den Gashandel in der EU. Um die Klimaerhitzung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen, müssen wir künftig weitgehend auf fossile Energieträger verzichten. Auch Erdgas muss also perspektivisch raus aus unserem Energiemix. Wie groß wird bzw. soll der Gasbedarf in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sein? Wie kann der fossile Energieträger Erdgas durch erneuerbare Gase (Biomasse, Power to Gas) ersetzt werden? Welche Rolle spielt die Gasinfrastruktur in den kommenden Jahren auf dem Weg zu 100% erneuerbaren Energien? Diese Fragen standen im Fokus unseres Fachgesprächs am 6. Juni 2018 mit rund 100 Teilnehmer*innen.
Zum Auftakt machte Annalena Baerbock in ihrer Begrüßung deutlich, dass das Pariser Klimaabkommen Treibhausgasneutralität bis 2050 festschreibt. Das bedeute ein Ende der energetischen Nutzung fossiler Energieträger bis 2050. Es müsse jetzt darum gehen fossile Lock-In-Effekte zu vermeiden. Noch seien die europäischen Energieinfrastrukturen jedoch nicht auf die Paris-Ziele abgestimmt. Es liegen somit noch große Aufgaben vor uns, die jetzt angegangen werden müssen und nicht wie unter der aktuellen Bundesregierung, vernachlässigt werden dürfen.
Dr. Stefan Bofinger von Fraunhofer IEE hob in seinem Vortrag hervor, dass Deutschland seinen Gesamtenergiebedarf bis 2050 drastisch reduzieren muss, um die Klimaziele einzuhalten. Er wies darauf hin, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien notwendig und möglich sei. Die Weichen dafür müssten aber heute gestellt werden, als Beispiel nannte er den Umbau der Wärmeversorgung, da Heizungen in Privathaushalten über 20 Jahre genutzt werden und hier keine fossilen Techniken zementiert werden sollten. Als besondere Herausforderung sieht er die Verwendung von Erdgas zur stofflichen Nutzung. Allein, um dieses bis 2050 zu ersetzen, bräuchte man künftig große Mengen synthetisches Gas, das zu erheblichen Anteilen importiert werden müsste.
Ralph Bahke, Vorstand der Fernleitungsnetzbetreiber Gas betonte den Wert und das Potenzial der vorhandenen Gasinfrastruktur für die Energiewende. Diese habe eine deutlich höhere Transportkapazität als die Stromnetze und könne auch als Speicher für erneuerbare erzeugte Gase dienen. Dafür müssten allerdings viele Power to Gas-Anlagen gebaut werden. Da dies derzeit nicht wirtschaftlich darstellbar sei, wäre regulatorische Unterstützung notwendig. Außerdem müssten das Strom- und Gasnetz stärker synchronisiert werden.
Regine Richter von urgewald forderte , das Thema Erdgas von den Klimaschutzzielen ausgehend zu denken. Wenn man sich vergegenwärtige, wie klein das im Rahmen der Paris-Ziele einzuhaltende CO2-Budget nur noch sei, würde deutlich, dass neue fossile Infrastrukturen nicht zu rechtfertigen seien. Statt in neue Pipelines und LNG-Terminals für fossile Gase zu investieren, sollten Finanzhilfen der EU und der Bundesregierung sowie der staatlichen Banken wie der europäischen Investitionsbank konsequent in Energiesparen, Effizienz und Erneuerbare Energien fließen.
Dr. Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik gab einen Überblick über die zu erwartenden Entwicklungen an den Gasmärkten und in den Gasförderländern. Sie zeigte die Dilemmata auf, mit denen die Politik in den kommenden Jahren im Gasbereich konfrontiert ist, beispielsweise den Gasverbrauch zu reduzieren, während gleichzeitig große Mengen fossiles Gas auf die Märkte kommen. Sie plädierte dafür, auf nachhaltige Energiepartnerschaften und Kooperation statt Importunabhängigkeit zu setzen.
Julia Verlinden stellte zu Beginn der von ihr moderierten Diskussion Einigkeit darüber fest, dass die Gas-Infrastruktur auch für eine Zukunft mit 100% erneuerbaren Energien mit Power to Gas und Biogas ausreichend sei, es gäbe höchstens Modernisierungs- bzw. Anpassungsbedarf, aber keine Notwendigkeit für Erweiterung und Ausbau. In der Diskussion wurde dann unter anderem die Problematik des Methanschlupfs, entwicklungspolitische Kritik an Power to Gas-Importen, die Folgen der Gasförderung vor Ort, die Diskussion um eine CO2-Bepreisung und die konsequente Ausrichtung politischer Maßnahmen auf die Paris-Ziele angesprochen.
In seinem Fazit wies Jürgen Trittin auf den Unterschied zwischen Absichtserklärungen, Szenarien und Wirklichkeit hin, die sich unter anderem darin zeigen, dass die Treibhausgasemissionen in Deutschland derzeit wieder steigen statt zu sinken. Er mahnte zu schnellem Handeln, auch mit Blick auf die Umweltzerstörungen in den Fördergebieten fossiler Energieträger. Gerade im Gebäudebereich sieht er viele ungenutzte Möglichkeiten, bei Energieeinsparungen und dem Umstieg auf erneuerbare Energien schnell voranzukommen. Er betonte, dass europäische Energienetze eine Grundvoraussetzung für klima- und energiepolitische Fortschritte seien.