Ein Bericht von Oliver J. Glodzei
„Reden wir nicht mehr vom Klimawandel,“ stellt Julia Verlinden gleich zu Beginn klar, „reden wir besser von der Klimakatastrophe, die uns droht.“ Dass der dramatische Begriff gerechtfertigt ist, begründet die grüne Bundestagsabgeordnete anschließend in einem engagierten Vortrag mit einer ebenso engagierten Diskussion beim politischen Frühstück des Kreisverbandes am Sonnabend vormittag.
Grüne stellten die Mehrheit der TeilnehmerInnen, aber es waren auch eine Reihe interessierter Menschen ohne Mitgliedsnummer gekommen. Sie sahen und hörten eine gut gelaunte, aber ernste Julia Verlinden, die zunächst mit ein paar harten Fakten jene Thesen untermauerte, die wohl jedeR „schon mal irgendwie gehört“ hat.
„Klimaskeptiker werden heute praktisch nirgendwo mehr ernst genommen,“ erklärt sie. „Wer sich heute gegen aktive Klimapolitik stellt, versucht das nicht mehr wissenschaftlich zu begründen, sondern mit vermeintlichen Zielkonflikten, vor allem mit der wirtschaftlichen Entwicklung.“
Doch solche Zielkonflikte werden stets nur aus Perspektive einiger Wirtschaftszweige sichtbar. Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden der Klimaerwärmung trifft hingegen alle und ist erheblich. Von rund 800 Milliarden Kosten bis 2050 geht das DIW in einer Studie aus 2007 aus. Aus dem Kreis der Frühstückenden werden weitere Studien zitiert und verschiedene Ansätze diskutiert, wie sie zustande kommen.
Julia betont, dass in dieser und ähnlichen Prognosen viel Unsicherheit steckt. „Aber alle ökonomischen Klimamodelle kommen letzlich zum gleichen Schluss: Das Abwarten in der Klimapolitik wird wahnsinnig viel teurer als alle erdenklichen Klimaschutzmaßnahmen.“ Die übrigens auch immer teurer würden, je später man sie startet.
Darüberhinaus gibt es auf dem Wege der Erderwärmung einige Punkte, die wir nicht erreichen dürfen, weil an ihnen Entwicklungen unumkehrbar werden; Julia nennt sie „Kipppunkte“. Dazu gehören natürlich die Eispanzer der Arktis und Grönlands, deren Abschmelzen sich irgendwann so weit verselbstständigt, dass selbst eine Klimaabkühlung es nicht mehr stoppen könnte.
„Große, globale Meeresströmungssysteme zählen auch dazu,“ sagt sie, „wie der Golfstrom zum Beispiel, der Europa und Nordamerika ein viel milderes Klima beschert, als es die Lage auf der Nordhalbkugel eigentlich zuließe.“ Würde der erheblich abgeschwächt oder setzte ganz aus, wären die Folgen für Europa nicht nur dramatisch sondern katastrophal. Klimaerwärmung muss also nicht unbedingt wärmeres Wetter bedeuten.
Julia geht auf Fragen nach den Möglichkeiten grüner Politik ein, erwähnt kurz den Entwurf eines Grünen Klimaschutzgesetzes und die Aktivitäten im Bundestag. Doch sie möchte heute vor allem über die Optionen kommunaler Politik sprechen, „denn dort haben wir Mehrheiten, im Bundestag derzeit bekanntlich nicht.“
Sie schlägt vor, mit konkreten Energiesparmaßnahmen kommunale Haushalte zu entlasten, Energiekonzepte für Stadtquartiere und Ortsteile mit Bürgerbeteiligung zu entwickeln. „Da steckt unheimlich viel Potenzial drin,“ rät die Energiesparexpertin, „und zwar nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch für Mieter und Vermieter, die oft schon mit überschaubaren Investitionen mittelfristig viel Geld sparen können.“
Das Thema Erneuerbare und deren Akzeptanz vor Ort kommt zur Sprache. Besonders die Lokalpolitiker unter den TeilnehmerInnen wissen von erfolgreichen Projekten „Energie in Bürgerhand“, aber auch von vielen Widerständen vor Ort zu berichten.
Julia hat hierzu eine interessante Umfrage im Gepäck. Demnach finden regelmäßig mehr Menschen Anlagen zur Energieerzeugung in ihrer Nachbarschaft gut, wenn sie diese Anlagen bereits in der Nachbarschaft haben. „61% aller Befragten fanden Windenergieanlagen in der Nachbarschaft gut oder sehr gut. Bei denen, die bereits in der Nähe solcher Anlagen wohnen, waren es 74%.“
In der Diskussion ist man sich einig, dass zur Akzeptanz erheblich beitragen könne, wenn die BürgerInnen am Ausbau der Erneuerbaren mitverdienten. Das nächste Grünfutter solle sich doch mal mit diesem Thema befassen.
Zunächst war jedoch ein Fazit dieses Grünfutters zu ziehen. Klar wurde, dass beides nötig ist: Erneuerbare Energien und Energiesparen, um zunächst die verbliebenen Atomkraftwerke und dann möglichst rasch auch die fossilen Kraftwerke abschalten zu können.
Innerhalb von 20 Jahren ist ein Umstieg in ganz Deutschland auf 100% Strom aus Erneuerbaren möglich und nötig. Je mehr Energie wir einsparen, desto kostengünstiger geht dieser Umbau. Wenn wir dabei die BürgerInnen auch als Investoren mitnehmen und vor Ort gemeinsam entscheiden, kann die Energiewende gelingen. Unser Beitrag zur Klimarettung hängt davon ab.