Gastbeitrag: Beyond Washington – Understanding the U.S. Heartland

20. Dezember 2018

Im September 2018 reiste meine Mitarbeiterin Mira Schirrmeister mit 17 anderen  Abgeordnetenmitarbeiter*innen des Bundestags in die USA. Das achttägige Programm vor Ort wurde von dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und der US-Botschaft in Deutschland finanziert. Die Planung und Durchführung wurde von der Organisation Cultural Vistas in Zusammenarbeit mit der US-Botschaft in Berlin übernommen. Über das Programm und ihren Aufenthalt hat Mira Schirrmeister einen Bericht verfasst, den ich hier als Gastbeitrag veröffentliche:

Reisebericht Beyond Washington – Understanding the U.S. Heartland

von Mira Schirrmeister

Im September 2018 reisten wir als Gruppe von achtzehn Abgeordnetenmitarbeiter*innen aller Bundestagsfraktionen für eine Woche in die USA, um uns über Washington hinaus ein Bild über die politische, ökonomische und soziale Lage in den USA zu machen. Zu diesem Zweck führte uns die Reise nach Pittsburgh in Western Pennsylvania, eine Region, die 2008 und 2012 noch für die Demokraten und Präsident Obama gestimmt und 2016 mehrheitlich Republikaner und somit Donald Trump gewählt hat.

Erste Station: Washington

Zu Beginn unseres Programms in Washington bekamen wir einen Überblick über die politischen Institutionen des Landes von Erik Langenbacher, Politikprofessor der Georgetown University. Sein Vortrag zeigte, vor welchen Herausforderungen die Institutionen in den USA stehen. So sei es 2016 bereits zum zweiten Mal innerhalb von 20 Jahren geschehen, dass ein*e Präsidentschaftskandidat*in zwar mehr Stimmen bekommen, aber trotzdem nicht die Wahl gewonnen hätte. Zudem würden US-Präsidenten immer häufiger über Dekrete und Direktiven regieren, anstatt dass die Legislative, also der Kongress, Gesetze beschließt, was eigentlich seine Aufgabe ist. Der Supreme Court, also das oberste Gericht und das Justizwesen insgesamt hätten an Bedeutung gewonnen und würden über ihre Urteile mehr politische Wirkung entfalten. Die US-amerikanische Verfassung sei historisch gesehen nur sehr selten geändert worden und sie sei sehr kurz, sodass viele heutige Fragen durch sie nicht ohne Weiteres adressiert werden können. Nach seinem spannenden Vortrag bot er an, uns abends noch auf ein Bier zu treffen und uns die Georgetown University zu zeigen.

Zu Besuch im Kongress

In Washington besuchten wir außerdem das Büro des Kongressabgeordneten Mike Doyle, der Western Pennsylvania im Repräsentantenhaus vertritt. Die Räumlichkeiten, in denen Mitarbeiter*innen von Kongressabgeordneten arbeiten, wirken wesentlich repräsentativer als die eher nüchternen Bundestagsbüros. Anders als bei uns sind die Gebäude, in denen sich die Büros befinden, öffentlich zugänglich. Beim Gespräch mit einem Mitarbeiter des Abgeordneten erfuhren wir, dass wesentlich mehr Mitarbeiter*innen in seinem Wahlkreis beschäftigt sind als in Washington. Dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass das Repräsentantenhaus alle zwei Jahre gewählt wird und man daher vor Ort ständig präsent und ansprechbar sein müsse.

Warum wurde Trump gewählt?

In Washington diskutierten wir zudem mit einem Vertreter des American Farm Bureau, und einem Vertreter der National Association of Manufacturers, ein ebenfalls eingeladener Umweltverband konnte leider niemanden schicken. Beide sagten uns, dass die Wahl Trumps sie überrascht hätte. Auch in Pittsburgh, wohin wir am folgenden Tag reisten, bestätigte sich dieser Eindruck. Offenbar hatte keiner unserer Gesprächspartner*innen in Washington oder Pittsburgh den Wahlsieg von Donald Trump 2016 so richtig kommen sehen. Bei der Analyse, wie es zu dem Ergebnis gekommen sein könnte, gingen die Ansichten weit auseinander. Immer wieder genannt wurde die Polarisierung der Gesellschaft, die sich vor allem zwischen den Metropolen an der Ostküste und den ländlichen Regionen im Landesinneren zeigen würde. Schwächen der demokratischen Kandidatin Clinton und ihrer Kampagne hätten Trump ebenfalls in die Hände gespielt. Clinton hätte traditionell demokratisch wählende Gegenden wie Western Pennsylvania zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, keine Antworten auf die Probleme von demokratischen Wählerschichten wie den Stahl- und Kohlearbeitern in Pittsburgh gehabt, erklärte uns beispielsweise ein Gewerkschaftsvertreter in Pittsburgh. Clinton hätte kaum etwas an ihrem öffentlichen Bild durch die Kampagne verändern können, das in den Augen vieler nicht besonders positiv gewesen sei, meinte eine Politikprofessorin von der Uni Pittsburgh. Viele Wähler*innen würden eine Frau als Präsidentin zwar akzeptieren, aber nur, wenn sie perfekt sei. Viele US-Amerikaner*innen würden nach zwei Amtszeiten eines demokratischen Präsidenten lieber wieder die andere Partei an der Macht sehen. Sie wären bereit gewesen, Donald Trump eine Chance zu geben, zumal er viele Versprechungen gemacht hat, die ihn als Kandidaten trotz kritikwürdiger Auftritte attraktiv erscheinen ließen.

Globalisierungskritik und Handelspolitik in Pittsburgh

Trumps Abgrenzung gegenüber den politischen Eliten in Washington hätte ebenso wie die Kritik an der Globalisierung bei vielen einen Nerv getroffen. Dazu gehörte vor allem Trumps Versprechen, die Handelsbeziehungen neu zu gestalten. So wurde uns mehrfach erklärt, dass die Stahlindustrie in Pittsburgh durch chinesische Dumpingmethoden sehr stark unter Druck geraten sei. Allerdings würden Trumps bisherige Maßnahmen das Problem nicht lösen, sondern im Gegenteil neue Schwierigkeiten entstehen. Durch neue Zölle wären Arbeitsplätze bedroht und keine neuen geschaffen worden, sagten uns verschiedene Vertreter von Arbeitgebern und produzierendem Gewerbe aus der Region. Zudem sind nicht nur neue tarifäre Hürden entstanden, sondern auch rechtliche Fragen zur Auslegung der neuen Zollregelwerke zu klären, die für Unternehmen teuer und kompliziert sind, erläuterten uns die Gastgeber eines Empfangs des Pittsburgh Chapter der German American Chamber of Commerce. Unter unseren Gesprächspartner*innen waren zwar auch einige wenige Republikaner*innen, aber niemand, der sich als echter Anhänger des Präsidenten bezeichnet hätte. Einige äußerten sich kritisch über sein Auftreten gegenüber Verbündeten wie Deutschland, sein fragwürdiges Frauenbild und seinen Stil insgesamt. Ein Präsident müsse ein Vorbild sein, diesem Anspruch würde Trump jedoch leider nicht gerecht.

Rolle der Medien und Bedeutung des Lokalen

In Pittsburgh wurde deutlich, dass es für den Alltag der meisten Menschen keine so große Rolle spielt, was in Washington diskutiert wird. Wichtiger ist, was im eigenen Bundesstaat passiert. Daher seien auch lokale Fernsehsender von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Medienlandschaft. Im Studio des Senders KDKA bekamen wir einen Eindruck davon, als wir den TV-Moderator und Politik- und Wirtschaftsjournalisten Jon Denalano treffen konnten. Mediennutzung und Umbrüche in der Medienlandschaft sind auch in den USA ein vieldiskutiertes Thema. Auch wenn social media an Bedeutung gewinnen, wären traditionelle Kanäle wie TV-Sender und Zeitungen noch immer sehr wichtig, da vor allem Ältere sie immer noch stark nutzen und die Älteren nicht nur einen großen Teil der Bevölkerung stellen, sondern auch besonders häufig wählen gehen. Die Frage, wie soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter etc. die politische Diskussion beeinflussen und zur Spaltung der Gesellschaft beitragen, wurde immer wieder angesprochen. Die Notwendigkeit, diese Plattformen zu regulieren, da sie selbst bisher nicht genug tun, um Manipulation, Fake News und Hetze einzudämmen, wurde von mehreren Gesprächspartner*innen betont. Im Gespräch mit einer Vertreterin der Change Agency, einer NGO, die sich für Migrant*innen einsetzt, zeigte sich, dass die Bevölkerung von Pittsburgh für US-amerikanische Verhältnisse relativ homogen und geprägt durch deutsche und osteuropäische Einwanderung ist. Es wäre für die Stadt gut, wenn mehr Migrant*innen kommen würden, da es viele unbesetzte Arbeitsplätze und Fachkräftemangel gäbe, meinte sie.

Energieversorgung und Energiepolitik in Western Pennsylvania

Besonders interessant war für mich das Thema Energie auf dieser Reise. Western Pennsylvania und auch Pittsburgh sind stark von der Kohle geprägt. Kohle und Schwerindustrie sind beispielsweise der Grund, warum die Stadt über so viele Bahnstrecken verfügt. Uns wurde berichtet, dass es früher erhebliche Probleme wegen der starken Luftbelastung gegeben hätte. Heute sei das viel besser. Der Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie ist zwar eine wesentliche Ursache für den starken Bevölkerungsrückgang in Pittsburgh gewesen, das seit den Siebzigern zwischenzeitlich fast die Hälfte seiner Einwohner*innen verloren hatte. Gleichzeitig führt weniger Kohleverfeuerung zu einer höheren Lebensqualität in der Stadt. Pittsburgh ist heute viel moderner, grüner und kulturell interessanter, als ich erwartet hätte. Alle Gesprächspartner*innen, die darauf angesprochen wurden, erwähnten, wie wichtig Erneuerbare Energien seien. Einer betonte, Pittsburgh sei besonders gut bei energieeffizienten Gebäuden. Auch die auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Studiengänge an der Chatham University wurden hervorgehoben. Jedoch habe ich nirgendwo in Pittsburgh und Umgebung ein Windrad oder Solaranlagen entdecken können.

Fracking-Boom

Nach der Entdeckung des Marcellus Shale, einer geologischen Formation, die große Schiefergasreserven beinhaltet, hat sich die Energieversorgung der Region stark verändert. Das nur mittels Fracking gewinnbare Erdgas aus dem Marcellus Shale bedeutet für Western Pennsylvania viele gut bezahlte Arbeitsplätze vom Lastwagenfahrer bis zum Ingenieur sowie kostengünstige Energie für die Industrie. Wie uns beim Gespräch mit Allegheny County Executive Rich Fitzgerald in der Stadtverwaltung erklärt wurde, konnte der Flughafen Pittsburghs nur vor dem Bankrott gerettet werden, weil Bohrrechte auf dem Flughafengelände verkauft wurden, sodass wieder Geld in die leeren Kassen floss.

Der Fracking-Boom wurde von keinem unserer Gesprächspartner*innen kritisch gesehen. Vorkehrungen, damit mögliche Langzeitschäden durch die Anwendung dieser Technik von den Unternehmen bezahlt werden, die die Gewinne mit dem Erdgas machen, wurden offenbar bisher nicht getroffen. Dies verwundert, da vor Ort bereits die Erfahrung gemacht wurde, dass die Umweltschäden durch Kohleförderung und Industrie nun von der Allgemeinheit aufgefangen werden müssen, beispielsweise bei der Bekämpfung der Umweltverschmutzung der drei Flüsse, die durch Pittsburgh fließen.

Bemerkenswert erschien mir auch, dass Unternehmen in Pennsylvania keine Steuern auf die gewonnenen Rohstoffe zahlen müssen. Bohrlizenzen zu beantragen kostet zwar Geld, aber es gibt keine Förderabgabe oder ähnliches, was in anderen Bundesstaaten durchaus üblich ist. Interessant ist darüber hinaus, dass die Preise für das gefrackte Erdgas sehr niedrig sind. Es existiert jedoch kein Pipelinenetz, um das Erdgas in Regionen abzutransportieren, wo der Bedarf höher ist und bessere Preise zu erzielen wären. Der Bundesstaat New York, der neben Pennsylvania liegt, hat sich für Divestment entschieden und lässt daher weder den Bau von Pipelines für fossiles Gas noch das Bohren auf seinem Staatsgebiet zu, unter dem sich ebenfalls ein Großteil des Marcellus Shales befindet.

Geringe Margen, wenig Bedenken und große Pläne für Plastik

Uns wurde geschildert, dass am Henry Hub, dem zentralen Gashandelsplatz in den USA, zwischenzeitlich Preise über 100 US-Dollar für eine Handelseinheit Erdgas gezahlt wurden, während der Preis in Pennsylvania gleichzeitig unter 5 US-Dollar lag. Trotz geringer Margen sei das Geschäft mit dem Erdgas für die mittelständisch geprägte Förderindustrie lukrativ. Erfreut zeigte man sich über Pläne, eine große petrochemische Anlage in der Region zu errichten. Erdgas (und Erdöl) ist nicht nur für den Energiesektor, sondern auch für die stoffliche Nutzung, also zum Beispiel die Plastikproduktion wichtig. Angesichts der erschreckenden Mengen an Einwegplastik vom Besteck und Geschirr im Restaurant bis hin zu umfangreichem Verpackungsmaterial überall, mag das unter wirtschaftlichen Aspekten positiv bewertet werden, aus Umwelt- und Klimasicht ist es jedoch mehr als bedenklich.

Keiner unserer Gesprächspartner*innen war der Ansicht, dass es aus Klimaschutzgründen notwendig sei, auf die Gewinnung des Erdgases in Zukunft zu verzichten. Im Gegenteil wurde die Erwartung geäußert, dass es noch bis zu 200 Jahre Erdgas aus dem Marcellus und dem darunter liegenden Uttica Shale geben würde. Bedenken wurde im Gespräch mit der Marcellus Shale Coalition mit dem Argument begegnet, dass Erdgas immerhin weniger schädlich sei als Kohle und man außerdem alles besser, also weniger umweltschädlich machen wolle als es in anderen Erdöl- und Erdgasförderregionen in der Vergangenheit üblich gewesen sei. Hohe Methanemissionen wurden vorwiegend auf die Ausgasungen offener alter Kohleminen zurückgeführt. Umweltschutzorganisation oder andere Gruppen, die den Fracking-Boom kritisch sehen, konnten wir leider nicht treffen. Zeichen des Protests gegen die Erdgasförderung wie beispielsweise rote Hände, die in vielen Kommunen in Niedersachsen in Gärten aufgestellt wurden, habe ich nicht gesehen.

Zukunftsperspektiven für die Region um Pittsburgh

Es wurde deutlich, dass nicht der Fracking-Gas-Boom allein zum Wiederaufschwung in Pittsburgh geführt hat. Viele Gesprächpartner*innen nannten zuerst die herausragenden Bildungseinrichtungen der Stadt sowie die Gesundheitswirtschaft als wichtige Faktoren. Ein großes Thema sei außerdem das autonome Fahren, das gleich von mehreren Unternehmen vor Ort vorangebracht würde. Viele Tech-Unternehmen würden in Erwägung ziehen, sich in Pittsburgh anzusiedeln, darunter auch Amazon. Darin sahen einige Chancen, andere befürchteten, dass die noch erschwinglichen Lebenshaltungskosten der Stadt erheblich ansteigen würden, falls das tatsächlich geschehen sollte.

Zum Abschluss des Programms besuchten wir die zwei demokratischen und das eine republikanische Mitglied des Washington County Board of Commissioners. Die drei sind mehrfach für ihre gute Zusammenarbeit über Parteigrenze hinweg ausgezeichnet worden. Es war ein schöner Abschluss des Programms, zu sehen, dass nicht nur Spaltung und Polarisierung, sondern auch wertschätzende Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen politischen Lagern gibt.