Freies Wendland wirkt bis heute fort – Zeitzeugen im Gespräch mit Abgeordneten

2. Juni 2020
Zeitzeugengespräch zu 40 Jahre Platzbesetzung 1004 im Gorlebener Forst. Von links: Miriam Staudte, Eckhard und Moni Tietke und Julia Verlinden. Foto: Büro Verlinden

Die grüne Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden und ihre Landtagskollegin Miriam Staudte haben sich in Gorleben mit Zeitzeugen aus der Zeit der Platzbesetzung 1004 vor 40 Jahren getroffen. Verlinden und Staudte, damals noch im Kleinkindalter, waren erfreut, dass sich das Ehepaar Monika und Eckhard Tietke zu einem Gespräch am Ort der historischen Ereignisse in Gorleben bereitgefunden hat. Dies wurde zugleich für das Gorleben–Archiv vom Redakteur Dirk Draszewski filmisch festgehalten.

Spannend für Julia Verlinden war, dass die Initiatoren des damaligen Protestes sich offenbar am Anfang gar nicht der Reichweite ihres Protestes bewusst waren und über die enorme bundesweite Unterstützung erstaunt und hocherfreut waren, auch wenn das oft zu langen Diskussionen über den richtigen Weg führte.

Eckhard Tietke, damals Jungbauer, hielt nicht so viel von den Diskussionen, dafür fehlte ihm die Zeit. Er sorgte lieber für die praktische Versorgung mit Holz, Kartoffeln oder Bratwürsten. Nach Feierabend übernahm er den Bierausschank. Seine heutige Frau Monika hat er bei der Platzbesetzung kennengelernt. Sie war mit Berliner Studenten zum ersten Mal zum Sommerlager nach Gartow gekommen und von der praktischen Art der Wendländer total angetan: nicht lange diskutieren, sondern machen.

So war sie bei der Platzbesetzung davon begeistert, dass einige Dannenberger um den Kneipier Achim Noack eine Solardusche auf dem besetzten Platz bauten. Bei 33 Tagen Staub, Ruß und Sonnenschein in der Gorlebener Waldbrandwüste ein wahrer Luxus.

Julia Verlinden sagt mit Blick auf heute: „Ziviler Ungehorsam im Wendland war für viele spätere Bewegungen Vorbild – von solch entschlossenem und friedlichen Protest hat sich beispielsweise auch die heutige Klimagerechtigkeitsbewegung inspirieren lassen. Auf jeden Fall hat der Protest damals viele Menschen emanzipiert und den Politiker*innen klar gemacht, dass ihre Entscheidungen hinterfragt werden und sie diese nachvollziehbar begründen müssen. Nur mit Transparenz und echter Beteiligung kann eine solche Aufgabe gelingen, einen Standort für ein Atommüllendlager zu finden.“

Miriam Staudte, jetzt in ihrer Landtagsfraktion neben dem Thema Atom auch für Agrarpolitik zuständig, erfuhr von den Tietkes, wie diese 33 Tage Platzbesetzung ihr weiteres Leben prägte. Für den seit 450 Jahren im Familienbesitz befindlichen landwirtschaftlichen Betrieb in Groß Breese war es kein einfacher Schritt, den Betrieb auf ökologischen Landbau umzustellen. Aber wie Moni Tietke betont, hat der Protest auch bei anderen zum Umdenken geführt, so dass der Ökolandbau heute im Wendland die höchste Dichte in der Bundesrepublik erreicht hat.

Auch die Modellregion für Erneuerbare Energien hat hier im Atomprotest ihren Ursprung. Angesprochen auf die weitere Entwicklung in Gorleben bezüglich der Endlagersuche zeigten sich die Tietkes pessimistisch. Sie glauben nicht daran, dass eine neue bundesweite Endlagersuche gelingen wird. Aber sie sind auch sicher, wenn dabei doch wider besseren Wissens noch einmal auf Gorleben zurückgegriffen würde, wäre der Widerstand sofort wieder da.