Als Berichterstatterin meiner Fraktion für das im Sommer 2016 beschlossene Gesetzespaket zu Fracking und zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Ausschuss für Wirtschaft und Energie habe ich im März 2017 an einem Austausch mit tunesischen Abgeordneten in Tunis und weiteren energiepolitischen Terminen in Tunesien teilgenommen. Hintergrund war die anstehende Reform des „Code des Hydrocabures“ in Tunesien. Hierin wird der Abbau sämtlicher Ressourcen geregelt, vor allem von Öl und Gas.
Fracking ist bisher nicht Bestandteil der tunesischen Gesetzgebung. Die Erfahrungen, die im parlamentarischen Verfahren in Deutschland mit der Regulierung von Fracking gemacht wurden, waren für die tunesischen Abgeordneten insbesondere mit Blick auf die Bestimmungen zum Umweltschutz von Interesse.
Darüber hinaus informierte ich mich über den tunesischen Solarplan und den Ausbau der Windenergie mit dem Ziel, 30% Erneuerbare Energien im Strommix bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Bislang betrug der Anteil der Erneuerbaren Energien im Strommix von Tunesien nur 3 Prozent. Auch über die Erfahrungen mit dem Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland habe ich mich vor Ort ausgetauscht.
Diskussion über Fracking mit der Zivilgesellschaft
Am ersten Tag der Reise fand vormittags ein Hintergrundgespräch mit ParlamentarierInnen und VertreterInnen von Parteien und der Zivilgesellschaft statt, in denen das deutsche Fracking-Gesetzespaket diskutiert wurde. Eingeladen hatte zu diesem Termin die Heinrich-Böll-Stiftung in Tunis. Ich stellte ca. 20 BesucherInnen die Debatte in Deutschland dar, den Prozess und die Veränderungen am Gesetzespaket zwischen Regierungsentwurf und Parlamentsbeschluss, sowie die Rolle des Bundesrats. Anschließend beantwortete ich zahlreiche Fragen zur Entscheidungsfindung im Parlament und zu den Risiken der Technik.
Immer wieder war auch Frankreich Thema, wo Fracking komplett verboten wurde. Französisch ist in Tunesien Amtssprache und Frankreich ein wichtiger Handelspartner. In Tunesien ist man über französische Politik gut informiert. Politische Neuerungen aus Frankreich dienen immer wieder als Orientierung für eigene Regelungen, beispielsweise das französische Paritätsgesetz. Es hat zum Ziel, dass mehr Frauen politisch mitentscheiden.
Besuch beim Solar Production and Training Center
Nachmittags besuchte ich das Solar Production and training center BSI (Biome Solar Industry, BSI) in Beja und informierte mich über den tunesischen Solarplan. Hier findet die Montage von Solarthermieanlagen zur Wassererwärmung statt, sowohl für den Bedarf in Tunesien als auch 20% zum Export in andere afrikanische Staaten (z.B. Marokko, Burkina Faso). Hier werden auch die Wassertanks produziert und mit den Kollektoren aus Deutschland montiert. Das Berliner Unternehmen KBB Kollektorbau GmbH hat 13% Anteil an BSI. 120 MitarbeiterInnen hat BSI und ist einer von 7 Anbietern von Solarthermieanlagen in Tunesien.
Der Sektor Erneuerbare Energien beschäftigt 5000 Menschen in Tunesien, davon 4000 im Bereich Solar. BSI vernetzt 150 Installationsbetriebe, 1200 Installateure nutzen insgesamt das ProSol-Programm. Dieses Programm läuft seit 2005. Es soll sowohl Solarthermie als auch Photovoltaik in Tunesien fördern. Die dritte Auflage des Programms läuft noch bis 2021. Die Solaranlagen-NutzerInnen bekommen 20% der Kosten von dem Programm ProSol und 80% über einen Kredit ihres Energieversorger, der mit der Energierechnung abgezahlt wird.
Austausch zu Flucht und Migration
Abends traf ich mich mit Rami Khouili von EuroMed Rights, Nabil Benbekhti vom UNHCR, Michael Jürgens von der deutschen Botschaft sowie Joachim Paul, Direktor der Böll-Stiftung zum Gespräch über Flucht und Migration. Ich erfuhr ihre Einschätzung zur aktuellen Situation in Tunesien und in den Nachbarländern.
Windparkbesuch
Am zweiten Tag der Reise besuchte ich den Windpark Bizerte I und informierte mich vor Ort über den Fortschritt und weiteren geplanten Ausbau der Windenergie durch den staatlichen Energieversorger STEG. Die Windverhältnisse sind sehr gut in Tunesien, insbesondere an der Küste und sehr stabil über den ganzen Tag verteilt. STEG betreibt bisher 242 MW Windanlagen im Norden von Tunesien.
STEG plant weitere Windparks, auch in der Mitte von Tunesien. Um das Ziel 30% Erneuerbare bis 2030 zu erreichen, soll die Windenergie die Hälfte beitragen, der Rest teilt sich auf in Photovoltaik (PV) und Concentrated Solar Power (CSP). Das würde dabei helfen, den Energieimport – v.a. Erdgas aus Algerien – und damit die Abhängigkeit zu reduzieren. Die STEG betreibt auch ca. 600 MW Gasturbinen.
Diskussion zu Fracking mit dem Ausschuss des tunesischen Parlaments
Mittags besuchte ich den Ausschuss für Industrie, Umwelt, natürliche Ressourcen und Energie des tunesischen Parlaments und hielt dort einen Vortrag zum Gesetzespaket zu Fracking in Deutschland. Die Diskussion mit den rund 20 Abgeordneten hatte u.a. das Thema Energieaufwand für Fracking und die regionale Wasserknappheit zum Gegenstand: Fracking benötigt große Mengen Wasser, was insbesondere in den Regionen, wo Schiefergasvorkommen liegen, nicht verfügbar ist. Die Abgeordneten sahen den Zielkonflikt der Interessen der Erdgaslobby auf der einen Seite und die umwelt- und klimarelevanten Probleme auf der anderen Seite.
Klimaschutz ist explizites Ziel der tunesischen Verfassung, eine Kommission für Nachhaltigkeit redet bei Gesetzesverfahren mit. Dass auch Sonne und Wind einheimische Ressourcen sind und Importabhängigkeit verringern können, war ebenso Thema wie die Frage der Informationen für die Zivilgesellschaft, der regionalen Mitbestimmung und Einbeziehung der Menschen in den betroffenen Regionen. Viele Fragen bezogen sich auf die Risiken von Fracking wie gesundheitliche Probleme, Unfälle mit giftigen Chemikalien, Altlasten, Erdbeben.
Es gab auch PolitikerInnen, die die Entscheidung über Fracking gerne einer Expertenkommission überlassen würden, die Vor- und Nachteile abwiegen sollte. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir als ParlamentarierInnen zwar nicht immer so gut in den Details Bescheid wissen können, wie WissenschaftlerInnen. Expertenanhörungen im Parlament oder die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Studien sind daher hilfreich, um sich umfassend über den Stand der Erkenntnisse zu einem Thema zu informieren. Es ist aber unsere Aufgabe als PolitikerInnen, Chancen und Risiken abzuwägen sowie Ziele und Leitlinien der Politik festzulegen, z.B. konkrete Klimaschutzziele oder Grenzwerte für Gesundheit und Umweltbelastungen, um Risiken zu minimieren. Wissenschaft kann uns politische Entscheidungen nicht abnehmen. Ich wies in diesem Zusammenhang auf die Prinzipien deutscher Umweltpolitik hin: Vorsorgeprinzip und Verursacherprinzip.
Nach meinem Besuch haben das Parlament sowie Umwelt- und Energieministerium eine „strategische Langzeit-Studie“ in Auftrag gegeben, die Chancen und Risiken der Schiefergasförderung in Tunesien ausloten soll. Der Abschlussbericht wird für Februar 2018 erwartet. Anschließend soll es eine Entscheidung geben und ggf. entsprechende Änderung des „Code des Hydrocabures“.
Hintergrundinfos:
Stellungnahme der BGR zu Fracking und Erdgasvorkommen in Tunesien