Bürgerenergiewende im Wendland

16. Juli 2015
Blick auf das Podium mit Landrat Jürgen Schulz, Wolf Winkelmann (Bauernverband), Julia Verlinden MdB u. Eckhard Winkelmann (Bürgerwind Projekt Amelinghausen)

Nicht alles läuft rund, mit der Energiewende und dem Ausstieg aus Atomenergie und Kohle. Die Klimaschutzziele sind in Gefahr.

Die Bundesregierung hat letztes Jahr die Rahmenbedingungen für Erneuerbare Energien drastisch verschlechtert: der Ausbau von Solarstromanlagen und Bioenergieanlagen ist fast zum Erliegen gekommen und auch bei der Windenergie stehen Änderungen an, die vor allem die großen Unternehmen begünstigen.

Wie kann die Energiewende wieder stärker zur Sache der Bürger werden? Insbesondere im Wendland wo seit 40 Jahren für den Atomausstieg gekämpft wird. Zu dieser Frage hat Julia Verlinden eine Podiumsdiskussion am Donnerstag, 9. Juli in Lüchow organisiert.

Bei der Veranstaltung, die in der ehemaligen Kraftwerkshalle der HASTRA stattfand, nahmen Landrat Jürgen Schulz, Wolf Winkelmann vom Bauernverband und Eckhard Winkelmann vom Bürgerwind Projekt Amelinghausen unter Mitwirkung von Julia Verlinden, teil.

Zum Auftakt hat Julia die Ziele einer grünen Energiewende vorgestellt: Dezentralisierung, Demokratisierung und Ökologisierung der Energieversorgung. Etwa die Hälfte der in Deutschland installierten Kapazitäten Erneuerbaren Stroms wurden von Bürgerinnen und Bürgern direkt selbst finanziert. Die vier großen Energieversorger hingegen trugen vergleichsweise wenig durch eigene Investitionen zum Umstieg auf Erneuerbare Energien bei. Den zahlreichen engagierten Bürgerinnen und Bürgern, z.B. in Bürger-Energiegenossenschaften und anderen Bürgerprojekten, ist es also zu verdanken, dass wir bereits über 28% des Stromverbrauchs in Deutschland aus Erneuerbaren Energien zur Verfügung stellen.

Energieeinsparung und Energieeffizienz haben Priorität bei der grünen Energiewende. Doch durch Verlagerung des Verkehrs in Richtung Elektro-Mobilität wird eine starke Reduzierung des Strombedarfs nicht so schnell erfolgen, wenngleich dadurch Brennstoffe (und somit ebenfalls Energie) eingespart werden.

Besonders wies Julia die knapp 50 Interessierten darauf hin, dass die Bundestagsfraktion eine neue Studie veröffentlicht hat, mit einem Szenario für 100% erneuerbare Stromversorgung für Deutschland innerhalb von 20 Jahren. Die Studie ist als Broschüre „Die neue Stromwelt“ kostenlos erhältlich und steht hier zum Download bereit.

Dem ländlichen Raum kommt damit eine besondere Aufgabe zu und er kann von der regionalen Wertschöpfung und gemeinschaftlichen Bürgerprojekten profitieren: Genau wie der ländliche Raum die Ballungszentren mit Lebensmitteln versorgt, kann er auch die Rolle des Energielieferanten übernehmen. Vor allem sollte die Energiewende weiterhin dezentral unter Beteiligung der Bürger und unter Berücksichtigung der Naturschutzbelange stattfinden, denn die Energiewende ist ein großes gesellschaftliches Gemeinschaftsprojekt.

Landrat Jürgen Schulz stellte fest, dass Lüchow-Dannenberg zwar bereits 120 % Strom aus erneuerbarer Energie erzeugt, aber beim durchschnittlichen CO2-Ausstoß noch etwa beim Bundesdurchschnitt von 9t CO2/Kopf der Bevölkerung liegt. Dies liegt vor allem an den großen alten Gebäuden und an der hohen PKW-Individualmobilität.

Es bleibt also genug zu tun, auch die Energie-Versorgung der Ballungszentren ist Aufgabe und Chance für den ländlichen Raum.

Herr Schulz sei verwundert über den Protest gegen Windanlagen, der jetzt in einer Region entstanden ist, die 40 Jahre die Last von Gorleben getragen hat. Die Möglichkeit zum Ausbau der Windenergie seien in der Region ohnehin stark eingeschränkt, da 64% der Kreisfläche einen Schutzstatus haben. Von daher wird ein großer Teil der jetzt in der naturschutzfachlichen Prüfung steckenden potentiellen Windvorrangstandorte ohnehin raus fallen.

Landrat Schulz setzt sich aber mit Eifer dafür ein, das, was als Beitrag zur Energiewende möglich ist, vor Ort auch umzusetzen. Da die Abstandsregeln verschärft wurden, wird es jedoch kaum möglich sein die bestehenden Standorte durch Repowering noch effizienter zu nutzen. Sie genießen aber Bestandsschutz.

Wolf Winkelmann vom Bauernverband Nordost Niedersachsen hat in Lüneburg ein Team von sechs Leuten gebildet, die vergleichbare Leistungen wie andere Projektentwickler anbieten. Ihr Ziel ist dabei aber, dass die Landwirte das Heft des Handelns möglichst in den eigenen Händen behalten.

Mit diesem Konzept ist der Bauernverband in den Nachbarkreisen Uelzen und Lüneburg recht erfolgreich, während hier in der Region bisher nur vereinzelt Windenergie-Projekte mit dem Bauernverband organisiert werden. Für Fälle, in denen eine finanzielle direkte Bürgerbeteiligung nicht geplant ist, hat der Bauernverband mit einer Sparkasse einen Bürgersparbrief aufgelegt. Damit ist zwar keine Mitentscheidung am Projekt möglich, aber Anwohner können trotzdem eine Geldanlage in die Windanlagen der Nachbarschaft vornehmen.

Bürger direkt beteiligen (finanziell und bei operativen Entscheidungen) will dagegen die Genossenschaft Bürger-Windpark in Amelinghausen. Eckhard Winkelmann erläuterte, wie es in der Samtgemeinde, in der er Ratsherr ist, gelungen ist, die Planung mit zu gestalten. Bei den voraussichtlich 21 Windanlagen , die in 4 Windprojekten der Samtgemeinde gebaut werden könnten, könnte die Genossenschaft 7 Anlagen erwerben. Das ist schon eine ambitionierte Aufgabe, das Eigenkapital von 6 Mio. Euro in kleinen Genossenschaftsanteilen von mindestens 1.000 Euro einzusammeln. Er vermutet, dass in einer ersten Runde, in der nur Geld innerhalb der Samtgemeinde eingeworben wird, nicht genug zusammen kommt. In der zweiten Runde können sich dann auch andere Interessenten im größeren Umkreis der Region beteiligen.

Warum nur so wenige Bürgerbeteiligungsprojekte verwirklicht werden, wurde nur am Rande thematisiert. Schon bevor neue Vorrangflächen ausgewiesen werden, sind Planungsbüros in den Gebieten unterwegs und sammeln oft unter Zahlung eines „Handgeldes“ von z.B. 1.000 Euro, Vorverträge für die benötigten Flächen ein. Dieses Geld können die Flächenbesitzer behalten, auch wenn kein Projekt entsteht. So eine Strategie können sich Bürgerenergie-Projekte natürlich nicht leisten. Sie leben davon, dass sich die Bauern zusammen tun und sich einig sind, alle Schritte gemeinsam mit den Bürgern vor Ort zu gehen. Selbst wenn sie kein eigenes Windprojekt planen wollen, können sie dann, nach Vorlage verschiedener Angebote gemeinsam entscheiden, an wen sie ihre Vorrangflächen verpachten. Dies scheint das A und O zu sein: Wer die Flächen besitzt, entscheidet mit seiner Unterschrift, ob ein Investor von außerhalb investiert, oder ein lokales Bürgerwindprojekt entsteht.

Im Publikum war das Interesse an den Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung aber offensichtlich nicht so groß. Stattdessen wurde von den anwesenden Kritikern die These vertreten, man könne aus Kohle und Atom aussteigen, ohne die Windenergie weiter auszubauen. Insbesondere durch massives Energiesparen.  Das Fazit von Julia Verlinden: Energiewende sollte als Chance für den ländlichen Raum genutzt werden, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort umgesetzt werden. Beides sei nötig: Erneuerbare Energien UND Energiesparen, um Atomkraftwerke abzuschalten und danach schrittweise die fossilen Kraftwerke Braunkohle, Steinkohle, Gas. Innerhalb von 20 Jahren sei ein Umstieg in ganz Deutschland auf 100% Erneuerbaren Strom möglich und nötig (Atomausstieg, Klimaschutz) und je mehr Energie wir einsparen, desto kostengünstiger und schneller geht dieser Umbau. Wir sollten die Bürgerenergiewende stärken: vor Ort gemeinsam entscheiden, Verantwortung übernehmen für unseren Energieverbrauch, auch die Energieverbraucher Wärme und Mobilität im Blick haben. Wenn wir als Bürgerinnen und Bürger, als Stadtwerke etc. investieren, dann profitieren wir direkt von sauberer Luft, nachhaltiger Zukunft und regionaler Wertschöpfung.