Energiewende selber machen: Julia Verlinden antwortet der Genossenschaft Bürger Energie Bremen (BEGeno)

1. April 2017
Über Bürgerenergie diskutieren in Bremen (v.l.) Eva Bulling-Schröter (MdB, energiepolit. Sprecherin der Linken), Sarah Ryglewski (MdB, SPD, Bremen), Dr. Julia Verlinden (MdB, energiepolit. Sprecherin der Grünen), Malte Zieher (Bremer SolidarStrom, Bündnis Bürgerenergie) und Dr. Michael Sladek (EWS Schönau, Bündnis Bürgerenergie).

Julia Verlinden hat am 24. März 2017 am Aktionstag "Energiewende selber machen" in Bremen teilgenommen. Im Vorfeld antwortete sie auf Fragen der Genossenschaft BEGeno (Bürger Energie Bremen), einem der Veranstalter des Aktionstags.

Frau Verlinden, im neuen EEG sind einige Ausnahmen für Bürgerenergiegesellschaften enthalten, die eine bisher sehr erfolgreich Akteursvielfalt sicherstellen sollen. Halten Sie diese Regelungen für ausreichend, um Bürgerenergiegenossenschaften die Marktteilnahme weiterhin zu ermöglichen?

Nein, die Regelungen reichen nicht aus. Die Bundesregierung hat die Akteursvielfalt bei der Energiewende ausgebremst und der Bürgerenergie immer mehr Steine in den Weg gelegt. Wir Grüne wollen eine dezentrale Energiewende in Bürgerhand. Deshalb wollen wir im Gegensatz zur Bundesregierung die nach EU-Richtlinien möglichen Ausnahmen von Ausschreibungen voll ausschöpfen. Nach der sogenannten de-minimis-Regelung können bis zu 6 Windenergieanlagen à 3 Megawatt Leistung und Solaranlagen bis zu einem Megawatt Leistung von der Pflicht zur Ausschreibung befreit werden und so unbürokratisch als Bürgerenergieprojekte realisiert werden.

Wird die Energie für die Ballungsräume der Zukunft künftig durch Erneuerbare im Umland produziert und wo findet in Zukunft die Wertschöpfung bei der Energiegewinnung statt? Wer profitiert von der Energiewende?

Klar ist, dass mehr erneuerbare Energie im Umland der Städte produziert werden wird. Der ländliche Raum profitiert damit von der Energiewende. Das ist wichtig, um die Attraktivität des ländlichen Raumes zu erhalten und dem Zuzug in die Städte ein Gegengewicht zu verleihen. Aber auch in der Stadt gibt es unzählige Dachflächen, die für die Strom- und Wärmeerzeugung mittels Photovoltaik und Solarthermie erschlossen werden können und müssen. Dafür brauchen wir u.a. ein Mieterstromgesetz, was großflächige Wirkung entfaltet und nicht bei 500 Megawatt gedeckelt wird, wie von dieser Bundesregierung vorgesehen. Mit grünem Mieterstrom können auch die Stadtbewohner direkt von der Energiewende profitieren.

Darüber hinaus kann sich jede und jeder an Genossenschaften beteiligen, die Erneuerbare Energien investieren – egal ob in der Stadt oder auf dem Umland. Nicht zuletzt gibt es bei Energieeinsparung und Energieeffizienz in den Städten noch viel Potenzial, z.B. bei der energetischen Sanierung. Damit kommen Aufträge und Jobs in die Stadt, insbesondere im Handwerk. Am Ende brauchen wir für die Energiewende alles: Erneuerbare in der Stadt und auf dem Land und Energieeffizienz in allen Bereichen.

Der Ressourcen(Flächen-)verbrauch für neue Gewerbe- und Industrienutzungen ist enorm. Ballungsräume wie Bremen stehen dabei im Wettbewerb zum Umland, den sie wegen des begrenztes Flächenangebotes nicht gewinnen können. Was raten Sie Bremen bei der Ausweisung neuer Gewerbe- und Industriegebiete zu beachten? Qualität, Nachhaltigkeit oder einfach Masse?

Entscheidend ist eine innovative Stadtplanung, die energetische Aspekte ebenso berücksichtigt, wie Lebensqualität, Grünflächen und Naturschutz. Der Flächenverbrauch in Deutschland ist noch immer viel zu hoch. Das Ziel von maximal 30 Hektar Flächenverbrauch am Tag wird weiterhin deutlich überschritten. Es kommt deswegen auf eine nachhaltige und intellignete Planung an: Nicht immer mehr Grünflächen zupflastern, sondern sinnvoll und unter Beachtung des städtischen Mikroklimas nachverdichten, ohne das Grün in der Stadt zu zerstören und dabei Potenziale für Energieeffizienz und Erneuerbare Energien erschließen.

Ab 2018 wird Mercedes in Bremen E-SUV fertigen und auch Wassertofffahrzeuge sollen produziert werden. Zugleich steigen die Anmeldezahlen für herkömmliche PKW in Bremen. Was kann ein Hersteller wie Mercedes für eine Stadt wie Bremen tun, um auch hier positive Impulse für eine Energiewende im Verkehrsbereich zu unterstützen? Wo sehen Sie innovative Allianzen?

Menschen wollen mobil sein. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass sie ein Auto haben müssen. Car-Sharing, ein gutes Angebot im öffentlichen Personenverkehr und eine gute Fahrradinfrastruktur sind sinnvolle Alternativen zum eigenen Auto. Mercedes und Co werden nur dann in Zukunft eine Chance haben, wenn sie sich als Mobilitätsdienstleister verstehen und nicht nur als Autohersteller und -verkäufer.

Stichwort Sektorenkopplung: Die Prognosen sagen, die Sektoren verschmelzen und die Zukunft gehört dem erneuerbaren Strom. Es wird kleine und sehr große Speicher geben sowie intelligente Netze. Ohne radikale Modernisierung unserer Stromwirtschaft können wir die Klimaziele sonst nicht erreichen. Wo sind die politischen Maßnahmen, die zugleich Bürger und Wirtschaft mitnehmen, ohne sie zu überfordern? Wen braucht Politik, um die Bevölkerung und Wirtschaftsvertreter zu überzeugen?

In der Energiewirtschaft gibt es nicht den großen Umbruch von einem auf den anderen Tag, sondern die Transformation verläuft Schritt für Schritt. Wir Grüne gehen z.B. nicht davon aus, dass die Wärmeversorgung in Zukunft ausschließlich mit Strom funktioniert. Wir setzen vielmehr auf einen Mix der erneuerbaren Wärmetechnologien aus Solarthermie, Bioenergie, Geothermie und Wärmepumpen. So gibt es genug Möglichkeiten für Unternehmen und Haushalte, nach der jeweils passenden Lösung zu suchen.

Das PV-Batterieförderprogramm, welches auf Druck der Grünen bei den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss zum EEG 2012 entstand, war beispielsweise ein guter Impuls für Wirtschaft und Verbraucher. Hinzu kommt die Digitalisierung der Energiewende – Stichwort Smart Meter. Hier sollten zunächst gewerbliche Großverbraucher den Anfang machen und ihren Energieverbrauch stärker nach dem Angebot ausrichten. Mit einer Flexibilisierung des Strompreises kann man auch die Wirtschaft für eine Lastverschiebung begeistern. Smart Metering für Privathaushalte sollte hingegen keine Pflicht werden.

Bürgerenergiegesellschaften engagieren sich landesweit für die Energiewende. Sie brauchen Planungssicherheit und Rahmenbedingungen, die bürgerschaftliches Engagement ermöglichen. Was tun Sie bzw Ihre Partei, um die politischen Rahmenbedingungen zu verbessern. Welche Geschäftsfelder halten Sie für Bürgerenergiegenossenschaften für zukunftsfähig?

Auf Bundesebene setzen wir uns dafür ein, dass Bürgerenergie weiter die zentrale Säule der Energiewende bleibt und von den Ausschreibungen ausgenommen wird. Außerdem wollen wir, dass Bürgerenergiegenossenschaften sich auch für den Umbau der Wärmeversorgung und bei der Energieeffizienz engagieren. Bürgerenergiegenossenschaften können zum Beispiel vor Ort in die energetische Sanierung von Schulen investieren oder Nahwärmenetze aufbauen und betreiben. Voraussetzung dafür ist, dass rechtliche Unsicherheiten ausgeräumt werden und die Kommunen mitmachen, beispielsweise mit einer intelligenten Wärmeplanung. Darin wollen wir Grüne die Kommunen mit unserem Programm Faire Wärme nachdrücklich unterstützen.

Hier sind Videomitschnitte von der Veranstaltung ‚Energiewende selber machen‘ zu sehen.