Die Digitalisierung der Energiewende ist in aller Munde. Digitale Technologien wie intelligente Netze („Smart Grids“) oder intelligente Zähler und Messsysteme („Smart Meter“) können dabei helfen, dezentral erzeugte, fluktuierenden Erneuerbaren Energien ins System zu integrieren, Spitzenlasten in lastenschwächere Zeiten zu verschieben und Anreize zum energiesparenden Verhalten zu setzen. Die Grüne Bundestagsfraktion hat am 27. Januar 2016 zum Fachgespräch „Digitalisierung: Eine Chance für die Energiewende?!“ eingeladen. Anlass war der laufende Gesetzgebungsprozess zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur „Digitalisierung der Energiewende“. Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender hob hervor, dass die Digitalisierung der Gesellschaft auch nicht vor der Energieversorgung halt mache. Statt einiger hundert, meist fossiler, Großkraftwerke trügen heute tausende von Windkraftanlagen und hunderttausende von Photovoltaik-Paneele zur Stromversorgung bei. Zur effizienten Organisation einer dezentralen Erneuerbaren Energieversorgung könne die Digitalisierung einen wesentlichen Beitrag leisten.
Informations- und Kommunikationstechnologien als Ermöglicher der Energiewende
Dr. Patrick Graichen von der Denkfabrik Agora Energiewende zeichnete in seinem Vortrag das Bild eines dezentral organisierten, flexiblen und effizienten Energiesystems der Zukunft. Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) spielten darin eine immer wichtigere Rolle. In einer Welt sinkender CO2-Emmissionen werde Strom auch im Verkehrs- und Wärmesektor immer mehr an Bedeutung gewinnen. Die schwankende Einspeisung von Strom aus Erneuerbaren Energien und eine Veränderung im Abnahmeverhalten der Verbraucher durch den Einsatz von Speichersystemen verlangten nach immer mehr Flexibilität. IT-Technologien bündelten dezentrale Lösungen, sodass viele Klein-Anlagen große Beiträge für das Gesamtsystem leisten könnten. Während der Einsatz von Smart Metern für reine Haushaltskunden keinen Nutzen bringe, sei es aber notwendig, Prosumer – also Konsumenten, die zeitgleich Strom selber produzieren, etwa mit einer Solaranlage auf dem Dach – in ein intelligentes System einzubinden und steuern zu können. Graichen führte zudem die Idee eines von Flex-Efficiency gekennzeichneten Systems ein: Energieeinsparung werde zukünftig dann einen höheren Wert haben wenn weniger Wind- und/oder Sonnenstrom verfügbar seien, Flexibilität bekäme auf Nachfrageseite mehr Bedeutung. Lastmanagement und Energieeffizienz würden so zu dem Konzept der Flex-Efficiency als Design für neue Anlagen und Geräte verschmelzen. IKT übernähmen dabei die Rolle des zentralen, steuernden „Ermöglichers“.
Neue Rollenverteilung bei den Netzbetreibern
Auch Klaus Homann vom Übertragungsnetzbetreiber TenneT bewertete Smart Meter als „Enabler“ der Energiewende und hob ihre Bedeutung für das Lastmanagement hervor. Schwerpunktmäßig hob er in seinem Vortrag die Vorteile der von der Bundesregierung geplanten Verantwortungsübertragung für Datenaufbereitung und -kommunikation sowie Bilanzkoordination auf die Übertragungsnetzbetreiber hervor. Wirtschaftlich sei es sinnvoll, die zukünftig täglich durchzuführende Bilanzierung und die notwendige Verarbeitung der großen Menge an 15-Minuten-Verbrauchsdaten bei nur vier Übertragungsnetzbetreibern statt bei rund 900 Verteilnetzbetreibern zu verorten. Auch mit Blick auf die Verarbeitung der Daten könnten die Übertragungsnetzbetreiber mehr Datensicherheit gewährleisten, da bereits heute ähnlich hohe Sicherheitsanforderungen an die Leitsysteme gestellt würden. Die vorgesehene Rollenverteilung sei zudem effizienter, da Übertragungsnetzbetreiber als Systemverantwortliche künftig mehr denn je auf umfassende Daten zu Erzeugung und Verbrauch angewiesen seien. In einer smarten Welt mit kurzzyklischen Daten könnten die Übertragungsnetzbetreiber Systemsicherheit gewähren, etwa bezogen auf die Systembilanzierung oder überregionale Engpässe.
Digitalisierung ist kein Selbstzweck
Holger Loew vom Bundesverband Erneuerbarer Energien hinterfragte in seinem Vortrag kritisch, inwiefern der Gesetzentwurf der Bundesregierung die Kommunikationsanforderungen Erneuerbarer Energieerzeuger hinreichend abbilde. Er betonte, dass sich insbesondere für Betreiber kleiner Erneuerbarer Energien-Anlagen der Einbau von Smart Metern nicht rentiere. Die Kosten für den Einbau eines Smart Meters seien etwa für Betreiber kleiner Photovoltaik-Anlagen unverhältnismäßig. Hinzu kämen verdeckte Kosten, die durch den Eigenstromverbrauch dieser intelligenten Messsysteme entstünden sowie das Problem des Schutzes der generierten Daten. Ein zwangsweiser Einbau von Smart Metern für Anlagen mit einer installierten Leistung von 7 Kilowatt – so wie im Gesetzentwurf vorgesehen – könne daher den Einbau von Erneuerbaren Energien-Kleinanlagen in Zukunft unrentabel machen und den Ausbau einer dezentralen Erneuerbare Energieversorgung deutlich bremsen. Weiterhin merkte er an, dass die Abregelung kleinerer Anlagen den Ausbau der Verteilnetze höchstens verzögern könne, denn die Verteilnetze müssten bei einer zunehmenden Elektromobilität ohnehin verstärkt werden.
Risiken des Gesetzentwurfes aus Verbrauchersicht
Johanna Kardel von der Verbraucherzentale Bundesverband beleuchtete den Gesetzentwurf der Bundesregierung aus Verbrauchersicht. Dabei betonte sie, dass eine verpflichtende Ausstattung von Privathaushalten mit Smart Metern mit zusätzlichen Kosten aber ohne erkennbarem Nutzen verbunden sei. Denn die intelligenten Zähler alleine könnten noch kein Strom und kein Geld sparen. Einsparungen könnten erst durch Verhaltensänderungen erzielt werden. Grundlegend dafür seien bessere Informationen und finanzielle Anreize, wie variable Tarife. Aktuell seien variable Tarife allerdings Mangelware. Zudem hätten Studien ergeben, dass sich auch zukünftig variable Tarife finanziell nur für Haushalte mit Speicherheizungen lohnen. Hinzu käme das Problem der Erfassung sensibler Verbrauchsdaten durch die intelligenten Messsysteme. Auch für das Gesamtsystem sei kein Nutzen erkennbar, da das Lastverlagerungspotenzial in Haushalten sehr gering sei. Ein positiver Effekt für die Energiewende sei also nicht gesichert. Daher dürfe es für private Haushalte keine Zwangsausstattung mit Smart Metern geben. Statt auf Zwang zu setzen, der die Akzeptanz der neuen Technologie gefährde, sollte stärker über Anreize für den Einbau intelligenter Messsysteme und die dafür nötigen Rahmenbedingungen nachgedacht werden.
Smart Meter als Baustein einer 100%-PV-Welt
Prof. Gerd Heilscher, Professor für „Energiedatenmanagement dezentraler regenerativer Energiesysteme“ an der Hochschule Ulm hob in seiner Präsentation die zentrale Bedeutung digitaler Technologien für das Lastmanagement bei einer flächendeckenden Ausstattung mit Photovoltaikanlagen hervor. Er berichtete von seinen Erkenntnissen im Rahmen einer Forschungsgruppe, die in „Reallaboren“ damit experimentiert, Stadtteile mit vielen PV-Anlagen mit Smart Metern auszustatten. Dabei käme Smart Metern beim Lastmanagement eine bedeutende Rolle zu, denn „Strom ist nur dann wertvoll wenn er gebraucht wird, das gilt auch für Solarstrom“. Für die Energiewende sei daher eine Digitalisierung notwendig. Ein dezentrales Energiesystem benötige ein intelligentes Kommunikationssystem, um flexibel auf Lastschwankungen reagieren zu können. Digitale Technologien könnten zudem den Netzausbau entlasten. Dabei solle die Rolle der Verteilnetzbetreiber gestärkt werden, da diese Vor-Ort-Lösungskompetenz besäßen und regional das Energiesystem regeln könnten. Zum Gesetzentwurf merkte er an, dass die dort getroffenen technischen Richtlinien, etwa mit Bezug auf die vorgesehenen Wechselrichter, international kompatibel sein sollten.
Trotz der vielschichtigen Diskussion aus unterschiedlichen Blickwinkeln, waren sich die Referent*innen in einem Punkt einig: Die Digitalisierung ist eine Chance für die Energiewende. In der lebhaften Diskussion war das Publikum vor allem interessiert an Fragen des Datenschutzes beim Einbau von Smart Metern, dem Nutzen von Smart Metern für Privathaushalte sowie für Prosumer. Auch die Rollenverteilung zwischen Verteilnetz- und Übertragungsnetzbetreibern war ein wichtiger Diskussionspunkt. So wurden etwa die Vorteile einer regionalen Verankerung der Verteilnetzbetreiber im Vergleich zur durch die Übertragungsnetzbetreiber gewährleisteten Systemstabilität diskutiert.
In ihrem Schlussstatement fasste Julia Verlinden, energiepolitische Sprecherin der Fraktion, zusammen: Im Fachgespräch sei deutlich geworden, dass die Digitalisierung der Energiewende käme. Die zentrale Frage sei nun, wie wir sie gestalten wollten. Auch wenn sich aktuell der Einbau von Smart Metern bei Haushalten ohne Wärmepumpe, Elektroautos oder PV-Anlagen nicht lohne – das sei doch die Welt, auf die wir uns hinbewegen wollten. Daher sei es wichtig, jetzt die richtigen Weichenstellungen zu setzen. Wichtig beim Einsatz digitaler Technologien sei, dass einheitliche Kommunikationsstandards geregelt werden aber auch bei der Datensicherheit Standards festzusetzen. Bezogen auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung habe das Fachgespräch auf zahlreiche Schwachstellen hingewiesen. So seien die Fragen der Reihenfolge und der Geschwindigkeit eines Smart-Meter-Rollouts nicht sinnvoll gelöst worden. Denn das Fachgespräch habe deutlich gezeigt, dass insbesondere bei Kleinverbrauchern ohne Lastverschiebungspotenzial ein intelligentes Messsystem mit Kommunikationseinheit (noch) nicht sinnvoll sei. Je höher der Energieverbrauch und je mehr Potenzial zur Lastverschiebung, desto bedeutender, sinnvoller und angemessener sei ein Einbau von Smart Metern für die Energiewende. Bei diesen großen Energieverbrauchern könnten zunächst Erfahrungen gesammelt werden und somit auch mittelfristig die Umrüstungskosten pro Smart Meter reduziert werden.