Bericht zum Anti-Kohle-Protest in der Lausitz am Pfingst-Wochenende 2016

18. Mai 2016
Ende Gelände 2016, Copyright: 350.org / Paul Lovis Wagner (link zu flickr)

Von Julia Verlinden, MdB

An Pfingsten protestierten mehrere Tausend Menschen in der Lausitz für die Energiewende, einen Kohleausstieg und konsequenten Klimaschutz. Am Samstag fand eine Demonstration von Welzow nach Proschim statt. Außerdem wurde ein mehrtägiges Klimacamp mit Workshops veranstaltet. Und das Bündnis „Ende Gelände“ hatte zum zivilen Ungehorsam aufgerufen.

Ich wollte mir selbst ein Bild von der Lage vor Ort machen und meldete mich – genau wie mehrere andere grüne Abgeordnete aus Europa-, Bundes- und Landesparlamenten – als „parlamentarische Beobachterin“. Bereits Anfang Mai hatten wir der Polizei mitgeteilt, dass wir als parlamentarische Beobachter vor Ort sein würden und ein konstruktives Gespräch mit dem Einsatzleiter geführt.

Meine Beobachtungen:

Nach meiner Ankunft besuchte ich Freitagabend das Camp und ließ mir von den Aktionen des Tages berichten. Am Samstagvormittag beobachtete ich die EndeGelände-Besetzung der Gleise an der Verladeeinrichtung bei Haidemühl. Kaum stiegen wir aus dem Auto, kam ein Vattenfall-Mitarbeiter auf uns zu und unterrichtete uns, dass wir uns auf Vattenfall-Betriebsgelände befänden und hier nicht parken sollten. Wir identifizierten uns als parlamentarische Beobachter und nach einem kleineren Schlagabtausch, ließ er uns gewähren und wir gingen hinunter zu den Gleisen. Die AktivistInnen hatten sich auf den Gleisen eingerichtet soweit es ging. Die meisten saßen hier seit dem Vortag und hatten die Nacht hier verbracht. Es gab sanitäre Einrichtungen und ein zweiköpfiges Sanitäter-Team. Wir sprachen mit den Sanitätern, mit einzelnen AktivistInnen und mit den Vattenfall-Mitarbeitern auf der anderen Seite der Gleise.

Einzelne Personen kletterten auf die Verladeeinrichtung, dort hingen auch Transparente. Um ca. 10:30 Uhr kamen einige Polizeifahrzeuge, die Beamten sprachen mit den Vattenfall-Mitarbeitern. Vattenfall und die Polizei hinterfragten, ob auf der Verladestation Gegenstände abgeschraubt oder etwas beschädigt werde. Wir sprachen mit einzelnen AktivistInnen und plädierten für eine Klärung. Schließlich kamen weitere Polizeifahrzeuge und ein sogenanntes Anti-Konflikt-Team der Polizei. Im Folgenden wurde ruhiger und weniger aufgebracht kommuniziert. Die Polizei und Vattenfall wurden davon überzeugt, dass deren Befürchtungen unbegründet seien, es also auch keinen Grund für eine Räumung der AktivistInnen gebe. Durch Kommunikation konnten Missverständnissen also ausgeräumt werden.

Wir verabschiedeten uns und zogen weiter zur Demo von Welzow nach Proschim, zu der zahlreiche Umweltverbände und -initiativen eingeladen hatten (z.B. BUND, Campact, Naturfreunde, Oxfam sowie Bündnis 90/Die Grünen).

Am frühen Samstagabend fuhr ich zur Zufahrtsstraße vom Kohlekraftwerk Schwarze Pumpe. Dort befanden sich ca. 120 Personen im Polizeikessel. Die eingekesselten AktivistInnen wurden nach und nach einzeln abgeführt, fotografiert, durchsucht und befragt und in Bussen nach Cottbus in die Gefangenensammelstelle gebracht. Die ganze Prozedur dauerte viele Stunden. Die AktivistInnen hatten genug Wasser und konnten nach Durchsuchung durch die Polizei jederzeit zur Toilette gehen.

Ab ca. 19:30 Uhr kamen immer mehr Menschen an dem Kessel vorbei, die teils Fahnen der Gewerkschaft IGBCE und z.T. Vattenfall-Arbeitskleidung trugen. Sie versammelten sich in Sichtweite als Pro-Kohle Kundgebung. Einige Leute beschimpften die eingekesselten Ende-Gelände-AktivistInnen und machten Fotos oder Filmaufnahmen mit Handys. Die Polizei ließ sie gewähren.

Nach dem Ende der Kundgebung gingen alle „Pro-Kohle-Demonstranten“ (einige 100), trotz ausdrücklich anders lautender Aufforderung, direkt an den Eingekesselten vorbei, riefen Beschimpfungen und machten Handy Fotos, während die Anti-Kohle-AktivistInnen fröhlich sangen. Kurz darauf flog etwas Brennendes von der Pro-Kohle-Demo aus in unsere Richtung und verteilte zahlreiche Funken. Erst etwas später bemerkte ich, dass ein junger Aktivist an den Beinen mit Brandwunden verletzt war. Eine Sanitäterin vor Ort verarztete ihn. Etwas später gelang es der Polizei, die Pro-Kohle-Demonstranten zum Weitergehen zu bewegen. Gegen 22 Uhr brachte jemand Essen und Rettungsfolien für die 20 bis 30 noch immer eingekesselten Kohle-GegnerInnen.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag fuhr ich mit der Rechtshilfeberatung sowie mit einem Kontakt-Mensch von Ende-Gelände zur Polizei-Einsatzleitung nach Cottbus um über das Gefahrenpotential durch gewaltbereite Pro-Kohle-Menschen und Neonazis zu sprechen. Inzwischen waren nämlich mehrere Zusammenstöße gemeldet worden.

Mein Fazit:

Während meiner Beobachtung habe ich viele hundert friedliche, kreative und entschlossene Menschen erlebt. Sie überzeugten mit ihrer Botschaft, dass sie Verantwortung übernehmen wollen für eine zukunftsfähige Energieversorgung, dass sie sich für konsequenten Klimaschutz einsetzen und globale Klimagerechtigkeit fordern.

Ich hatte den Eindruck, dass unser Einsatz als „parlamentarische Beobachter“ von Seiten der AktivistInnen und der Polizei als überwiegend hilfreich, deeskalierend und vermittelnd wahrgenommen wurde. Durch unsere Twitter- und Facebook-Meldungen sowie durch direkten telefonischen Kontakt mit der Presse trugen wir dazu bei, die Aktion bekannter zu machen und unsere direkten Beobachtungen von vor Ort zu dokumentieren.